Donnerstag, April 25, 2024

Orthopädische Schmerztherapie für Bewegung ohne Schmerzen

Die orthopädische Schmerztherapie will die Schmerzen der Patienten zu lindern und ihnen Bewegung ohne Schmerzen zu ermöglichen.

Im Grunde genommen kommen die meisten Patienten wegen Schmerzen zum Orthopäden oder Unfallchirurgen. Dann erwarten sie sich, dass eine effektive orthopädische Schmerztherapie die Schmerzen bestmöglich lindert. Zudem wollen sie, dass der Therapeut alles für den Erhalt und die Wiederherstellung ihrer Beweglichkeit tut.

Die Probleme der Patienten entstehen zumeist im Rahmen von Arthrosen, aber auch als Folge von Unfällen und Operationen. Zu den Schmerzen gesellt sich oft eine zunehmende Einsteifung der Gelenke, weil die Patienten die schmerzvollen Bewegungen meiden.

In diesem Sinne werden gewisse körperliche Betätigungen für die Patienten zur täglichen Qual. Dementsprechend wird auch der Bewegungsradius immer kleiner.

Dies hat schließlich Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Erkrankungen. Denn es kommt zu einer zunehmenden Verkürzung der Gelenke umgebenden Weichteile, wie Kapseln, Bänder und Sehnen.

Außerdem gibt es auch viele Studien, die den Wert der Bewegung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, aber auch für Erkrankungen von Knochen, Muskeln und Gelenken belegen. Daher hat die orthopädische Schmerztherapie die Aufgabe, Patienten durch eine geeignete multimodale Behandlung wieder in Bewegung zu bringen und in Bewegung zu halten.

 

Orthopädische Schmerztherapie für Bewegung ohne Schmerzen

Eine orthopädische Schmerztherapie ist mehr als die Verordnung schmerzstillender Medikamente. Es ist eine multimodale Therapie, zu der das gesamte Spektrum der physikalischen Therapie gehört. Diese erweitert den Bewegungsumfang wieder. Krankengymnastik mit Anleitung zum eigenen Übungsprogramm ist vor allem in der Frühphase der Erkrankung hilfreich. Dabei gilt das Motto „Bewegen nicht belasten“. Orthopädische Hilfsmittel stabilisieren und entlasten die Gelenke.

Man muss beim chronischen Schmerz auch die Psyche berücksichtigen. Denn Schmerzen werden auf dem Weg zum Gehirn auch durch psychische Faktoren wie Stress, Angst und Überforderung verstärkt. Orthopäden und Unfallchirurgen besitzen die Kernkompetenz für die Diagnose und die Behandlung von Arthrose. Sie kennen das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von konservativ bis operativ. Dazu gehört auch die fachübergreifende Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten, Orthopädietechnikern, Sporttherapeuten, Ernährungsmedizinern bei Übergewicht und Psychologen bei chronischem Schmerz.

 

Orthopädische Schmerztherapie mit Medikamenten

Die orthopädische Schmerztherapie umfasst natürlich auch die Verordnung verschiedener Medikamente. Diese erfolgt nach einem Stufenplan, angepasst an die Bedürfnisse des einzelnen Patienten nach einem Schema der WHO in drei Stufen. Meistens muss der Schmerz erst einmal durch topische oder systemische Schmerzmittel gelindert werden, bevor der Patient überhaupt adäquat mobilisiert werden kann. Unter dem Strich ist die medikamentöse orthopädische Schmerztherapie eine wichtige Unterstützung der Bewegungstherapie.

Bei den Schmerzmitteln unterscheidet man zwischen Nichtopioid- und Opioidanalgentika. Die wichtigste Substanzklasse sind die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), die zu den Nicht-Opioidanalgetika gehören. Sie wirken nicht nur schmerzstillend, sondern auch entzündungshemmend und abschwellend.

Bei den NSAR unterscheidet man zwischen nicht selektiven und selektiven Cox-2-Hemmern. Weil beide Gruppen eine ähnliche schmerzstillende und entzündungshemmende Wirkung haben, steht bei der Verordnung weniger die Wirksamkeit als vielmehr das Spektrum der Nebenwirkungen im Vordergrund. Eine gefährliche Nebenwirkung der nicht selektiven Cox-2-Hemmer sind zum Beispiel Magenblutungen.

 

Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen

Der Einsatz von Opioiden ist bei der Osteoarthrose umstritten. Opioide wirken bei dieser Indikation nicht besser als NSAR. Sie führen aber zu einer vermehrten Sturzneigung, zu Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Opioide können durch eine unbeabsichtigte Überdosierung auch zum Tode führen.

In den USA sterben mehr Männer und Frauen an einer unbeabsichtigten Überdosierung der Opiate als an der Überdosierung von Kokain und Heroin zusammengenommen. Allerdings haben Opioide eine bessere gastrointestinale Verträglichkeit als NSAR.

Früher wurden Opiate hauptsächlich zur Behandlung von Tumorschmerzen eingesetzt. Das hat sich inzwischen geändert. Für chronischen Arthrose- und Rückenschmerz enthält die S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen“ (LONTS) eine offene Empfehlung mit starkem Konsens, nach der opioidhaltige Analgetika als Therapieoption für eine Dauer von vier bis zwölf Wochen angeboten werden können. Etwa, wenn andere Maßnahmen oder eine Operation nicht möglich sind oder Begleiterkrankungen nichts anderes zulassen.

 

Opioid-Epidemie

Fakt ist allerdings, dass die Verordnungshäufigkeit und Verordnungsdauer von Opioiden im Widerspruch zur Evidenz und zu den Leitlinien stehen. In den USA ist es zu einer regelrechten Opioid-Epidemie gekommen. Das Center for Disease Control and Prevention hat daraufhin im April 2016 neue und strengere Empfehlungen für die Verschreibung von Opioiden bei chronischem Schmerz veröffentlicht.

Bei den Empfehlungen geht es vor allem auch darum, Nutzen und die Risiken ständig gegeneinander abzuwägen, damit Risiken der Opioidtherapie insgesamt reduziert werden. Die Patienten nennen Schmerzfreiheit zwar als wichtiges Therapieziel, allerdings lässt sich dieses Ziel nicht immer erreichen.

Es ist deshalb wichtig, realistische Erwartungen an die Behandlung zu wecken und mit dem Patienten offen darüber zu sprechen, in welchen Bereichen des Alltags die Schmerzreduktion besonders wichtig ist und wie sich diese am besten erreichen lässt.

 

Endoprothesen

Bei der Arthrose der großen Gelenke ist die endoprothetische Versorgung immer eine gute Therapieoption, wenn die konservative Therapie nicht mehr weiterhilft. Ein neues Gelenk ist und bleibt eine wirkungsvolle Behandlung gegen Schmerzen durch Arthrose.

Wenn ein Restschmerz unvermeidlich ist, etwa beim chronischen Rückenschmerz, dann sollten die Patienten lernen, damit zu leben. Die meisten Patienten sind froh, wenn sie ihre Lebensqualität behalten, nachts schlafen können und den normalen Alltagsbeschäftigungen nachgehen können.

 

Fazit

Jedenfalls ist Schmerz keine eindimensionale Reaktion auf ein Schmerzgeschehen. Er kann deshalb auf dem Weg zum Gehirn durch Stress, Angst, Einsamkeit und Abhängigkeit in vielfältiger Weise modifiziert werden. Man spricht deshalb auch vom „Biopsychosozialen Modell. Die Psychotherapie ist daher eine weitere Säule einer multimodalen Behandlung beim chronischen Schmerz. Man weiß heute auch, dass Frauen schmerzempfindlicher sind als Männer und dass Frauen Schmerzen weniger gut tolerieren als Männer.

Die Zusammenarbeit mit Schmerztherapeuten anderer Fachdisziplinen ist bei chronischen Schmerzpatienten mit Tumor- und Phantomschmerzen und Patienten mit Failed Back Surgery sinnvoll.


Literatur:

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Quelle:

Statement » Leben ist Bewegung – schmerzfrei mobil bleiben «von Dr. med. Manfred Neubert, Kongresspräsident DKOU 2016, Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Sonneberger Orthopädiezentrum, Bremen anlässlich des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2016.

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