Freitag, April 26, 2024

Gendermedizin – es geht um mehr als unterschiedliche Krankheitsverläufe.

Es geht um die Therapie: Ein Beispiel: In dem Low-dose colchicine (LoDoCo2, NEJM 2020) Trial reduzierte niedrig dosiertes Colchicin das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse, also Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Herztod, bei Patienten mit chronischer koronarer Herzerkrankung (KHE) um 31 Prozent. Die Studie bestätigte die Sicherheit und die Wirksamkeit von Colchicin zur Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse nach Herzinfarkt, was bereits im Colchicine Cardiovascular Outcomes Trial (COLCOT, NEJM 2019) beobachtet worden war. Leider wies die Studie auch einen ähnlich niedrigen Anteil an Frauen auf: 15,3 Prozent in LoDoCo2, 19 Prozent in COLCOT. In beiden Studien war die Risikoreduktion bei Männern hoch signifikant, aber bei den Frauen nicht signifikant. Die fehlende Wirksamkeit bei Frauen wurde nicht im Hauptteil des Manuskriptes publiziert, sondern lediglich im elektronischen Anhang, ohne weitere Diskussion. Nebenwirkungen wurden nicht nach Geschlecht aufgebrochen.

In Anbetracht der Tatsache, dass Frauen mittlerweile fast 50 Prozent der Patient*innen mit Myokardinfarkt darstellen und dass bekannt ist, dass es pathophysiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern und schlechtere Verläufe bei Frauen gibt, ist der unangemessene Einschluss von Frauen in der Studie und die fehlende Darstellung geschlechtsspezifischer Wirksamkeit beziehungsweise Nicht-Wirksamkeit und von Nebenwirkungen nicht länger akzeptabel. (Colchicine in Patients with Chronic Coronary Disease. Gebhard C, Regitz-Zagrosek V. N Engl J Med., 2021 Feb 25; 384(8):776-777. doi: 10.1056/NEJMc2034992)

 

Gendermedizin – es geht um mehr als unterschiedliche Krankheitsverläufe.

Es geht um die Prävention: Eine große aktuelle Studie in der Schweiz untersuchte die Behandlung von Risikofaktoren bei Frauen und Männern in der Primärprävention. Bei Frauen wurde seltener der Risikofaktor LDL-Cholesterol gemessen, und wenn, fanden sich höhere LDL-Werte als bei Männern. LDL-Cholesterol, Blutdruck und HbA1C-Werte in der Studie bestätigen internationale Untersuchungen, die ein schlechteres Risikomanagement bei Frauen in der Primär-, zum Teil auch in der Sekundärprävention zeigen. (Atherosclerosis, 2021 Feb 23; S0021-9150(21)00096-4. doi: 10.1016/j.atherosclerosis.2021.02.024. Online ahead of print. Inferior control of low-density lipoprotein cholesterol in women is the primary sex difference in modifiable cardiovascular risk: A large-scale, cross-sectional study in primary care. Rachamin Y et al.)

 

Gendermedizin – es geht um die Forschung

Frauentypische Krankheitsbilder werden schlechter untersucht – siehe endotheliale Dysfunktion oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Schwangerschaft. Neu und aktuell: Geschlechterunterschiede im Zusammenhang zwischen Stress, Veränderung des Immunsystems und Durchblutungsstörung des Herzens. (Front Neurosci, 2020 Dec 9; doi: 10.3389/fnins. 2020.614345. The Neuro-Inflammatory-Vascular Circuit: Evidence for a Sex-Dependent Interrelation?)

 

Gendermedizin – Gender, die soziokulturelle Dimension von Geschlecht, wird messbar gemacht.

Nachdem eine kanadische Gruppe gezeigt hat, dass Gender den Verlauf nach Herzinfarkt stärker beeinflusst als das biologische Geschlecht, Sex, untersuchen wir nun auch in Europa den Einfluss von Gender, zuerst einmal auf gesundes Altern. (Biol Sex Differ, 2021 Jan 18; 12(1):15. doi: 10.1186/s13293-020-00351-2. Gender score development in the Berlin Aging Study II: a retrospective approach)

 

Gendermedizin – Es geht um die Ausbildung der Kardiologinnen und Kardiologen

Frauen in der Kardiologie haben weniger Unterstützung, ihre Ausbildung dauert länger, sie verdienen für die gleiche Vollzeittätigkeit weniger Geld als die Männer und sie werden zu 30 Prozent sexuell belästigt. Dies und ein permanent hoch kompetitives Arbeitsklima und unflexible Arbeitszeiten verdrängen sie aus dem Wettbewerb für Leitungspositionen an den Universitäten. (Gender and career in cardiology – a cross-sectional study. Dettmer S, Wenzel A, Trenkwalder T, Tiefenbacher C, Regitz-Zagrosek V. Herz, 2021 Mar; 46(2):150- 157. doi: 10.1007/s00059-021-05027-0. Epub 2021)


REFERENTENSTATEMENT Gendermedizin – es geht um mehr als unterschiedliche Krankheitsverläufe: Geschlechterungleichheit am Beispiel der koronaren Herzkrankheit Professor Dr. med. Dr. h.c. Vera Regitz-Zagrosek, Internistin und Kardiologin, Seniorprofessorin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

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