Dienstag, April 23, 2024

Doppelt so effiziente Herstellung bestimmter Medikamente entwickelt

Die Pharmaindustrie musste bei der Herstellung von Wirkstoffen wie Levetiracetam, das beispielsweise gegen Epilepsie eingesetzt wird, bisher auf wenig effiziente, umweltbelastende Chemiesynthesewege zurückgreifen. Unter der Leitung des Grazer Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) gelang es einem österreichisch-deutschen Konsortium – darunter steirische Universitäten und Unternehmen – eine biosynthetische Herstellungsroute zu entwickeln, die im Vergleich zu gängigen Produktionsverfahren eine doppelt so hohe Ausbeute bei gleichzeitiger Umweltfreundlichkeit verspricht. Die neue Herstellungsmethode könnte bereits in einem Jahr industrietauglich sein und – so das Ziel – die industrielle Produktion unterschiedlichster Pharmazeutika revolutionieren.

Epilepsien sind die häufigste neurologische Erkrankung überhaupt und gelten weltweit zu den häufigsten chronischen Erkrankungen des Kindesalters. Etwa ein Prozent der Bevölkerung hat eine aktive Epilepsie und jeder zehnte Mensch erlebt bis zu seinem 80. Lebensjahr einen epileptischen Anfall. Bei einer Prävalenz von 8 pro 1.000 leben in Österreich derzeit umgerechnet 65.000 an Epilepsie erkrankte Menschen. Für die medizinische Behandlung von Epilepsie wird hauptsächlich der pharmazeutische Wirkstoff Levetiracetam eingesetzt. Als formuliertes Arzneimittel wird es unter der Bezeichnung Keppra mit einem globalen Marktanteil von 770 Milliarden€ (Stand 2018) vertrieben und bis dato hauptsächlich über chemische Synthesewege erzeugt.

„Derzeit bekannte Herstellungsverfahren zeichnen sich leider durch geringe Atomeffizienz aus. Das bedeutet, dass nur ein Bruchteil der eingesetzten Stoffe im gewünschten Endprodukt landet, währenddessen der Großteil des Materials letztendlich nur als Hilfsstoff dient und somit als unerwünschtes Nebenprodukt anfällt. Daher sind zahlreiche Aufreinigungsschritte nötig, um diese giftigen Stoffe abzuscheiden und am Ende das gewünschte Produkt in hoher Qualität und Reinheit zu erhalten. Diese Trennverfahren belasten zusätzlich die Umwelt, verbrauchen viel Energie und führen zu hohen Herstellungskosten von Keppra. Bislang war der Markt auf diese Synthesewege angewiesen, da keine smarten Alternativen vorhanden waren“, erklärt Margit Winkler, Forscherin am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und am Institut für Molekulare Biotechnologie der Technischen Universität Graz.

Unter der Leitung des acib hat ein Konsortium bestehend aus WissenschaftlerInnen der Universität Graz, Technischen Universität Graz, der Universität Mainz, dem Grazer Bioinformatik Unternehmen Innophore sowie dem deutschen Firmenpartner PharmaZell eine revolutionäre Herstellungsmethode entwickelt, welche umweltfreundlicher und wesentlich effizienter funktioniert. Die Ergebnisse der innovativen Technologie wurden kürzlich als Hot Paper in der renommierten Fachzeitschrift Green Chemistry publiziert.

 

Neuer Syntheseweg doppelt so effektiv wie bisherige Routen

Bisherige Methoden, wie die klassische Strecker-Synthese, haben den Nachteil, ein Racemat zu bilden. Dabei handelt es sich um ein Substanzgemisch aus zwei Stoffen, die zueinander wie Bild und Spiegelbild sind. „Jedoch besitzt nur das Bild die gewünschte Wirkung. Das inaktive Spiegelbild könnte bei Patientinnen und Patienten Nebenwirkungen erzeugen und muss somit als unerwünschter Abfall in aufwendigen Verfahren vom gewünschten Wirkstoff abgetrennt werden. Diese Faktoren limitieren die Ausbeute der industriellen Produktion bisher auf weniger als 50 Prozent“, erklärt Winkler.

Die neue Synthesevariante namens „Dynamische kinetische Resolution“ des Forscherteams setzt eine Nitril-Hydratase ein. Dieses von den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern des acib mittels Protein-Engineering-Methoden verbesserte Enzym hat die Fähigkeit, bereits zu Beginn des biokatalytischen Prozesses zwischen Bild und Spiegelbild zu selektieren und lediglich mit dem Bild zu reagieren. „Durch Wegfall des Spiegelbildes erhöht sich die Ausbeute theoretisch auf 100% und macht die neue Route folglich doppelt so effektiv wie herkömmliche Produktionsrouten“, freut sich Winkler. Als letzter Schritt wird mithilfe von Periodat ein Sauerstoffatom eingeführt, und so schließlich der gewünschte, fertige Wirkstoff in Reinform produziert. Das verbrauchte Periodat wird ganz einfach mithilfe von elektrischem Strom regeneriert und kann auf diese Weise immer wieder von Neuem kostensparend und nachhaltig eingesetzt werden.

 

Umweltfreundliche Produktion steht kurz bevor

„Die neue Route bietet der Industrie den zusätzlichen Vorteil, auch in der Produktion umweltfreundlicher zu sein, da der Prozess unter milden Bedingungen in wässriger Lösung bei Raumtemperatur und Umgebungsdruck durchgeführt werden kann“, erklärt Winkler. Aktuell arbeiten die Forschenden daran, den Prozess auf Industriegröße zu bringen. Das Konsortium geht davon aus, dass die neue Route bereits in einem Jahr von der Industrie angewendet werden könnte.

Der neue Ansatz, Enzyme mit Elektrochemie zu kombinieren, könnte in Zukunft, so das Ziel, ebenso die Herstellung anderer Pharmazeutika effizienter und wesentlich grüner machen.


Quelle:

Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib): www.acib.at

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