Dienstag, Oktober 1, 2024

Übergewicht, Adipositas und Diabetes durch Psychopharmaka

Störungen des Stoffwechsels, Übergewicht und Adipositas sowie Diabetes können durch diverse Psychopharmaka gefördert werden mit.

Fachartikel. Bei der Behandlung mit Psychopharmaka – Antidepressiva oder Antipsychotika – nehmen Patienten häufig stark an Gewicht zu. Das Risiko, Übergewicht und Adipositas zu entwickeln beziehungsweise in der Folge an Diabetes zu erkranken, ist jedenfalls bei einigen Klassen von Psychopharmaka deutlich erhöht. Was man jedenfalls bei einer Gewichtszunahme durch Antidepressiva tun kann, hängt vordergründig einmal mit Änderung der Lebensgewohnheiten zusammen. Mit Schwerpunkten wie gesunde Ernährung und reichlich körperliche Aktivität.

 

Psychopharmaka, Übergewicht und Adipositas

Zahlreiche psychotrope Medikamente wie Antidepressiva und Antipsychotika werden mit Störungen des Stoffwechsels, insbesondere mit einer Gewichtszunahme, in Zusammenhang gebracht. Übergewicht (BMI >25 kg/m2) und Adipositas (BMI >30 kg/m2) stellen ein schwerwiegendes Gesundheitsrisiko dar, das mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden ist.

Übergewicht und Adipositas sind die wichtigsten veränderbaren Risikofaktoren für die Entwicklung eines Typ-II-Diabetes mellitus (T2DM) – 80% der Patienten sind zum Zeitpunkt der Diagnose eines Typ-II-Diabetes mellitus übergewichtig.

 

Für die meisten Patienten stellen die psychosozialen Folgen einer Gewichtszunahme eine zusätzliche Belastung dar, sodass in vielen Fällen eine antipsychotische oder antidepressive Therapie trotz Wirksamkeit vorzeitig abgebrochen wird. Dies kann einen Rückfall in der Erkrankung oder eine Hospitalisierung zur Folge haben.

Deshalb ist es von besonderer Wichtigkeit, die Patienten bereits vor Therapiebeginn über eine mögliche Gewichtszunahme aufzuklären, eine Lebensstilberatung durchzuführen und gegebenenfalls therapeutisch zu intervenieren. Insbesondere Antipsychotika sind mit einer deutlichen Gewichtszunahme, der Entstehung einer Insulinresistenz und einem atherogenen Lipidprofil assoziiert.

Die klinische Bedeutung einer Gewichtszunahme bei mit Psychopharmaka beziehungsweise Antipsychotika behandelten Patienten wird besonders dadurch unterstrichen, dass die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas bei an Schizophrenie Erkrankten vor Therapiebeginn bereits zwei- bis dreimal so hoch ist wie in der Allgemeinbevölkerung.

Die Prävalenz von Typ-II-Diabetes mellitus und dem metabolischen Syndrom ist bei Patienten mit chronischen psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere Schizophrenie und affektiven Störungen wie der Depression, deutlich erhöht.

 

Risiken der Psychopharmaka

In einer großen Studie war unter Behandlung mit Antipsychotika der ersten Generation (FGAs) das Risiko, an Diabetes zu erkranken, dreimal höher als in der Normalbevölkerung. Hingegen werden für die einzelnen Substanzen aus der Klasse der Antipsychotika der zweiten Generation (SGAs) unterschiedliche Risiken angegeben.

Clozapin und Olanzapin besitzen ein gegenüber FGAs deutlich höheres Risiko für die Entwicklung eines Typ-II-Diabetes mellitus, während Quetiapin und Risperidon mit einem etwas geringeren Risiko behaftet sind.

Für Amisulprid, Ziprasidon und Aripiprazol, ein Antipsychotikum der neuen Generation, konnte bisher kein erhöhtes Dia­betes­risiko nachgewiesen werden.

Seit ihrer Einführung wurde in zahlreichen Fällen von der Entwicklung eines Typ-II-Diabetes mellitus und diabetischer Ketoazidosen im Rahmen einer Behandlung mit SGAs berichtet. In den meisten Fällen trat die Hyperglykämie innerhalb von sechs Wochen nach Behandlungsbeginn auf, vereinzelt sogar innerhalb einer Woche.

 

Störungen der Glukcosehomöostase nach Absetzen der antipsychotischen Medikation reversibel

In der überwiegenden Zahl der Fälle waren die Störungen der Glukcosehomöostase nach Absetzen der antipsychotischen Medikation reversibel. Verschiedene Mechanismen werden als Ursache dieser Störungen diskutiert.

Änderungen in der Insulinsensitivität der peripheren Gewebe und/oder der Leber, vermittelt durch humorale und/oder zelluläre Signaltransduktionskaskaden, könnten die Entwicklung einer Insulinresistenz und damit die Störungen des Glukosemetabolismus erklären.

Rezente Untersuchungen konnten einen Anstieg des HbA1c unter Therapie mit Olanzapin aufzeigen. Die Gewichtszunahme, die Entwicklung einer peripheren Insulinresistenz, Änderungen in der Insulinsekretion und im zellulären Glukoseuptake zählen zu den möglichen Ursachen. Zahlreiche insulinresistenz induzierende Faktoren sind seit Längerem bekannt.

Freie Fettsäuren, die die Glukoseaufnahme, die Glykogensynthese und die Glukoseoxidation hemmen sowie die hepatische Glukoseproduktion und VLDL-Triglyzeridproduktion steigern, sind bei insulinresistenten Individuen erhöht.

Die molekularen Mechanismen von Adiponectin, Leptin und Resistin, die potenzielle insulinresistenzverstärkende oder auch -protektive Eigenschaften besitzen, konnten bisher noch nicht eindeutig geklärt werden.

Einige Studien konnte schließlich auch zeigen, dass nicht nur die Gewichtszunahme während der Therapie für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes verantwortlich ist. Sondern auch ein direkter diabetogener Effekt der antipsychotischen Substanzen. Und zwar vor allem von Clozapin und Olanzapin.

 

Diabetes durch Psychopharmaka

In vorklinischen Studien wurde für adrenerge Antidepressiva ein hyperglykämie- und insulin­re­sistenzinduzierender Effekt beschrieben, während Antidepressiva, die vorwiegend über das Serotonin-System wirken, einen gegenteiligen Effekt zu haben schienen. Klinische Studien konnten diese Ergebnisse weitgehend bestätigen.

Unter Behandlung mit Amitryptilin wurde trotz Gewichtszunahme eine Verschlechterung der Insulinsensitivität durch ein gleichzeitiges Absinken des Cortisol-Spiegels verhindert. Zahlreiche Studien untersuchten die metabolischen Effekte von Antidepressiva bei adipösen Diabetikern.

 

Diabetes und Depression behandeln

Diabetes mellitus und Depression treten oft gemeinsam auf, da sie auch einige pathophysiologische Mechanismen teilen. Der Verlauf der Depression bei Patienten mit beiden Erkrankungen ist schwerwiegend. Die Behandlung von Depressionen bei Diabetes erfordert wiederum besondere Aufmerksamkeit, da die meisten psychopharmakologischen Mittel die Blutzuckerkontrolle verschlechtern können.

 

Bei Vorliegen von Diabetes und Depression zeigte sich Fluoxetine als Medikament der Wahl in der glykämischen Kontrolle, da positive Effekte auf die Nüchternglukose, den HbA1c, die hepatische und periphere Insulinresis­tenz, den Insulinbedarf sowie das Gewicht beobachtet wurden.

Trizyklische Antidepressiva wurden mit geringeren Glukose- und Insulinspiegeln sowie einer verbesserten Insulinsensitivität assoziiert.

Reversible Monoaminooxidaseinhibitoren führen zu keiner nachweislichen Beeinträchtigung des Glukosestoffwechsels, während Monoaminooxidaseinhibitoren, speziell Tranylcypromin, Hypoglykämien induzieren bzw. verstärken können.

Obwohl Mirtazapine zu einer deutlichen Gewichtszunahme führt, gibt es keinen Nachweis einer Störung der Glukosehomöostase.

 

Die wirksamste Therapie bei Übergewicht, Adipositas und Diabetes durch Psychopharmaka ist eine Änderung des Lebensstils

Eine Änderung des Lebensstils ist weiterhin die Behandlung der Wahl von Übergewicht, Adipositas und Diabetes durch Psychopharmaka. Denn medikamentöse Therapien bringen keinen nachweislichen Vorteil.

Falls Diät, Steigerung der körperlichen Aktivität in Kombination mit verhaltensmodifizierenden Maßnahmen keinen Erfolg zeigen, insbesondere aufgrund einer möglichen schlechten Compliance und Motivation des psychiatrischen Patienten, sollte der Einsatz eines Medikaments zum Abnehmen jedoch in Betracht gezogen werden.

Gemäß von Consensus-Empfehlungen sollten gewichtsreduzierende Medikamente allerdings nur bei Patienten mit einem BMI über 30 kg/m2 bzw. über 27 kg/m2 mit Komorbidität, wie Dyslipid­ämie, Bluthochdruck oder Diabetes, eingesetzt werden.

Bei Patienten mit einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m2 ohne zusätzliche Risikofaktoren sollte das Verhindern einer weiteren Gewichtszunahme im Vordergrund stehen.

Mittel der Wahl sind Topiramat, Histamin-Antagonis­ten, dopaminerge oder serotonerge Substanzen. Die medikamentöse Behandlung sollte als Langzeittherapie angesehen werden, da es nach Absetzen des Medikaments meist wieder zur Gewichtszunahme kommt.

 

Nicht die Dosis der Psychopharmaka reduzieren

Die Literatur empfiehlt jedenfalls keine allgemeine Dosisreduktion der Psychopharmaka. Denn nur für einzelne Wirkstoffe besteht eine positive Beziehung zwischen Dosis und Gewichtszunahme.

Der Wechsel zu einer anderen Substanz zeigte nachweislich den besten Erfolg und sollte deshalb so früh wie möglich im Behandlungsverlauf in Betracht gezogen werden, da das Gewicht ohne Intervention stetig zunimmt.

Allerdings empfehlen einige Experten, dass man sich jedenfalls für ein Medikament entscheidet, auf das der Patient im Grunde genommen gut anspricht. Natürlich muss man unerwünschte Nebenwirkungen bezüglich Stoffwechsel aktiv behandeln. Diese Vorgehen soll deutliche Vorteile bieten. Und zwar im Vergleich zu alternativen Wirkstoffen, deren Wirksamkeit und Toleranz ungewiss sind.


Literatur:

Essmat N, Soliman E, Mahmoud MF, Mahmoud AAA. Antidepressant activity of anti-hyperglycemic agents in experimental models: A review [published online ahead of print, 2020 Jul 7]. Diabetes Metab Syndr. 2020;14(5):1179-1186. doi:10.1016/j.dsx.2020.06.021

Nestsiarovich A, Kerner B, Mazurie AJ, Cannon DC. Hurwitz NG, Zhu Y, Nelson SJ, Oprea TI, Crisanti AS, Tohen M, Perkins DJ, Lambert CG. Diabetes mellitus risk for 102 drugs and drug combinations used in patients with bipolar disorder. Psychoneuroendocrinology. 2020 Feb;112:104511. doi: 10.1016/j.psyneuen.2019.104511. Epub 2019 Nov 9.

Velazquez A, Apovian CM. Updates on obesity pharmacotherapy. Ann N Y Acad Sci. 2018 Jan;1411(1):106-119. doi: 10.1111/nyas.13542.

Ress C, Tschoner A, Kaser S, Ebenbichler CF. Psychotropic drugs and diabetes. Wien Med Wochenschr. 2011 Nov;161(21-22):531-42. doi: 10.1007/s10354-011-0004-9. Epub 2011 Jul 29.


Quelle:

Diabetes durch ­Psychopharmaka. Dr. Alexander Tschoner, Univ.-Prof. Dr. Christoph Ebenbichler. MEDMIX 10/2008

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