Die Amokfahrt in Graz nimmt die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) zum Anlass, um den Begriff „Amok“ wissenschaftlich zu erklären.
Die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie möchte anlässlich der Amokfahrt in Graz, die zu tragischen Todesfällen und Verletzten geführt hat, die österreichischen Medien wie folgt informieren:
Eine Amoktat wird definiert als „eine für Außenstehende plötzliche, unverständliche und ungewöhnlich aggressive Handlung, die zur Verletzung oder Tötung von Menschen geführt hat“. Nicht jede Tat, die in den Medien als Amok bezeichnet wird, ist auch tatsächlich ein Amoklauf im engeren Sinne.
Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung sind nicht mit psychisch krank gleichzusetzen
Aggression und explosive Gewalttaten gibt es seit Menschengedenken, der Begriff „Amok“ selbst ist etliche 100 Jahre alt. Handlungen, Taten im Sinne von „Amok“, werden von Menschen verübt, die zumeist nicht psychisch krank sind. „Psychische Probleme“ sind keine Krankheit.
Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung sind nicht mit psychisch krank gleichzusetzen. Die Assoziation insbesondere von Schizophrenie mit Gewalt und Gefährlichkeit wird häufig deutlich übertrieben dargestellt. Hinzu kommt, dass sich wegen der vielschichtigen Entstehungsbedingungen von Amokläufen schlichtweg keine einheitliche „Täterpersönlichkeit“ bestimmen lässt.
Die Erforschung der Motivlage eines Amokläufers erfordert eine umfangreiche Untersuchung des Werdegangs, des aktuellen Zustandsbildes, verschiedener körperlicher und psychopathologischer Parameter und ist das Spezialgebiet von forensischen Psychiaterinnen und Psychiatern, von denen wir in Österreich einige exzellente Vertreterinnen und Vertreter haben. Hilfsbefunde aus der (Neuro-) Psychologie können dabei nützlich sein. In Summe ergeben die genannten Abläufe eine seriöse forensische psychiatrische Untersuchung und Diagnose.
Unseriös sind hingegen spekulative diagnostische Mutmaßungen, die trotz unzureichender Erkenntnislage über die Medien transportiert werden. Diese führen zu Missverständnissen, Verwirrung und Verunsicherung und entspringen im besten Fall dem psychologisch gut nachvollziehbaren Erklärungsbedürfnis bei besonderen Gewalttaten.
Die ÖGPP stellt daher klar, dass in derartigen Krisensituationen hochprioritär die medizinische und psychologische Betreuung der Opfer, ihrer traumatisierten Angehörigen, Freunde und Bekannten im Focus zu stehen hat. Dies ist im gegenständlichen tragischen Anlass in vorbildhafter Weise und mit viel Solidarität aus der Bevölkerung geschehen.
Wir ersuchen daher alle Verantwortlichen, dringend auf weitere präjudizierende Mutmaßungen zu verzichten, auch wenn es uns nachvollziehbar ist, dass Medien unter verstärktem Aktualitäts- und Berichtsdruck stehen.
Diese Forderung entspricht überdies den Empfehlungen großer internationaler psychiatrischer Fachgesellschaften wie beispielsweise der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und der American Psychiatric Association (Amerikanische Psychiatriegesellschaft).
Entscheidend sind also – und in dieser Reihenfolge:
- Hilfe für die direkt und indirekt Betroffenen
- eine seriöse Untersuchung und Beurteilung der Situation und danach
- ein entsprechend verantwortungsbewusster Informationsfluss.
Die betroffene Bevölkerung von Graz, die politisch Verantwortlichen in Graz und die psychiatrischen und psychologischen Krisendienste der Stadt Graz haben aus unserer Sicht vorbildlich reagiert. Die Psychiaterinnen und Psychiater Österreichs sind um Hilfestellungen für Betroffene intensiv bemüht und haben Mutmaßungen trotz zahlreicher Anfragen bislang weitgehend unterlassen.
Die ÖGPP wird diesen konstruktiven Weg der Bewältigung dieser Tragödie weiter unterstützen und fordert alle Medien und auch die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker unserer Republik zu entsprechender Besonnenheit auf.
Quelle: www.oegpp.at