Donnerstag, April 18, 2024

Zumindest schon vor 14.000 Jahren: Geschichte der Zahnmedizin älter als gedacht

Die Untersuchung eines etwa vor 14.000 Jahren behandelten kariösen Backenzahn mit einem Loch im Zahn schreibt die Geschichte der Zahnmedizin neu.

Der älteste Nachweis für einen zahnmedizinischen Eingriff stammt aus dem Jungpaläolithikum, wie Wissenschaftler der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der Universität Bologna und der Universität Ferrara herausfanden. Das Forscherteam untersuchte den kariösen Backenzahn eines vor 14.000 Jahren behandelten alten Individuums. Dessen Überreste fand man 1988 in der Felshöhle von Riparo Villabruna in Norditalien. Die Ergebnisse zeigen, dass jemand das Loch im Zahn mit einer kleinen spitzen Steinklinge bearbeitet hatte. Im Grunde genommen ist dieser Nachweis somit rund 5.000 Jahre älter, als weiland in Pakistan entdeckte Backenzähne mit Bohrlöchern aus dem Neolithikum. Die Studie im Fachjournal Scientific Reports schreibt deswegen die Geschichte der Zahnmedizin neu, denn diese ist viel älter als gedacht.



Karies zählt zu den häufigsten Infektionskrankheiten in modernen Industriestaaten. Doch auch steinzeitliche Jäger und Sammler hatten schon ein Problem mit faulenden Zähnen, das sich mit dem Einzug von Ackerbau und Viehzucht sowie der damit verbundenen veränderten Ernährung ausgebreitet hat. Nachweise für vorzeitliche Zahnbehandlungen sind äußerst selten. Die bisher ältesten Funde stammen aus der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, vor rund 9.000 Jahren.

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„Doch der Backenzahn aus Villabruna beweist, dass es bereits vor mindestens 14.000 Jahren, in der jüngeren Altsteinzeit, erste Eingriffe an kariösem Zahngewebe gab“, erklärt PD Dr. Ottmar Kullmer. Er war Mitautor der Studie sowie Experte für Evolution und Funktionsmorphologie von Urmenschen-Zähnen im Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main.

Die Entdeckung eines kariösen Backenzahn, der vor 14.000 Jahren behandelt wurde, zeigt die Geschichte der Zahnmedizin in einem neuen Bild.

Das internationale Forscherteam untersuchte das Fundstück mit verschiedenen fachübergreifenden Methoden. Beispielsweise schlossen die Wissenschaftler unter anderem mit Hilfe einer Rekonstruktion des Gebisses aus, dass durch den Kauvorgang die markanten Absprengungen und Rillen am Zahnschmelz entstanden.

Die Forscher machten Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) sowie Profilanalysen der Spuren. Und dann zeigte der Vergleich mit den rekonstruierten Kaubewegungen, dass im Zahnloch mit Gegenständen manipuliert wurde, erklärte Kullmer. Denn die experimentellen Tests legen nahe, dass die Rillen von Mikrolithen stammen. Mikrolithen sind übrigens sehr kleine steinzeitliche Klingen oder Spitzen von bis zu 3 cm Länge.

„Der Villabruna-Backenzahn ist älter als alle früheren Funde, die zahnmedizinische Operationen wie Bohrungen oder Eingriffe am Schädel belegen. Unser Fund lässt aber darauf schließen, dass Menschen schon in der Altsteinzeit wussten, dass von Karies befallene Zähne behandelt werden müssen, indem infiziertes Gewebe entfernt und Löcher im Zahn gereinigt werden“, stellt Dr. Stefano Benazzi, Hauptautor der Studie von der Universität Bologna fest.

„Das Entfernen von Essensresten mit Hilfe von Zahnstocherähnlichen Werkzeugen z.B. aus Holz ist schon von Beginn der Gattung Homo an dokumentiert. Anscheinend entwickelten die Menschen diese Gewohnheit zu einer schabenden oder hebelnden Behandlung von schadhaften Zähnen weiter. Und zwar bevor die Methode des Bohrens entwickelt wurde, die wir heute in der modernen Zahnmedizin kennen“, fügt Marco Peresani von der Universität Ferrara hinzu.“




Literatur:

Gregorio Oxilia, Marco Peresani, Matteo Romandini, Chiara Matteucci, Cynthianne Debono Spiteri. Amanda G. Henry, Dieter Schulz, Will Archer, Jacopo Crezzini, Francesco Boschin, Paolo Boscato, Klervia Jaouen. Tamara Dogandzic, Alberto Broglio, Jacopo Moggi-Cecchi, Luca Fiorenza, Jean-Jacques Hublin. Ottmar Kullmer & Stefano Benazzi. Earliest evidence of dental caries manipulation in the Late Upper Palaeolithic. Sci. Rep. 5, 12150; doi: 10.1038/srep12150 (2015). www.nature.com/scientificreports

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