Donnerstag, April 18, 2024

Entfernen vieler Schilddrüsenknoten hinterfragen

Die Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs ist überbewertet, das vorsorgliche Entfernen vieler Schilddrüsenknoten erweist sich überflüssig.

Fast jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat knotige Veränderungen seiner Schilddrüse. Mitunter ist dann das Entfernen der Schilddrüsenknoten notwendig. Etwa wegen einer stark vergrößerten Schilddrüse oder bei Verdacht auf Krebs. Nach US-amerikanischen Leitlinien musste man bisher davon ausgehen, dass bis zu 15 Prozent dieser Schilddrüsenknoten bösartig sind oder entarten könnten.

 

Neue Risikobewertung von Schilddrüsenknoten geht von deutlich niedrigeren Zahlen aus als bislang angenommen

Eine aktuelle deutsche Langzeitstudie zum Malignitätsrisiko von Schilddrüsenknoten an über 17.500 Patientinnen und Patienten mit Knoten kommt zu dem Schluss, dass die Zahlen viel niedriger sind. Im Lauf von bis zu 23 Jahren Nachbeobachtungszeit wurde nur bei 1,1 Prozent der Menschen mit Schilddrüsenknoten Krebs diagnostiziert.

Damit erweist sich das vorsorgliche Entfernen vieler Schilddrüsenknoten als überflüssig. Die Indikation zur Operation sollte deshalb erst nach gründlicher Diagnostik gestellt werden, sagt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE).

Da Schilddrüsenoperationen mit Komplikationen wie etwa der Schädigung des Stimmband-Nervs oder der Nebenschilddrüsen verbunden sein sowie eine lebenslange Einnahme von Medikamenten nach sich ziehen können, gelte es, unnötige Operationen zu vermeiden.

Jodmangel, aber auch eine immer weiter verfeinerte Ultraschalldiagnostik haben dazu geführt, dass bei nahezu jedem zweiten Erwachsenen Knoten in der Schilddrüse nachgewiesen werden können. „Dies löst oft Ängste aus, an Krebs des Stoffwechselorgans zu leiden oder daran zu erkranken“, weiß der Endokrinologe und DGE-Mitglied Prof. Dr. med. Martin Grußendorf aus Halblech. Doch er beruhigt: „Pro Jahr entwickelt sich in Deutschland bei weniger als 10 000 Menschen Schilddrüsenkrebs“. Aktuelle Daten zeigen, dass die Krebsrate von Knoten der Schilddrüse bei etwa einem Prozent und damit bei nur circa einem Zehntel der in den Leitlinien angegebenen Rate liegt.

 

Risikoabschätzung beim Umgang mit den Knoten muss an die neuen Zahlen angepasst werden

Die neuen Zahlen sollten in die Risikoabschätzung beim Umgang mit den Schilddrüsenknoten einfließen, insbesondere auch was die Entscheidung angeht, diese vorsorglich zu entfernen. Um Überdiagnostik und Übertherapie zu vermeiden, empfiehlt die DGE, im Jodmangel-Gebiet Deutschland auf ein routinemäßiges Ultraschall-Screening der Schilddrüse bei Patienten ohne Hinweise auf eine Schilddrüsenerkrankung zu verzichten.

Wenn ein Knoten mit einem Durchmesser von über einem Zentimeter nachgewiesen wird, dann sollte zunächst eine Schilddrüsen-Sonographie mit einer standardisierten Befundung nach TIRADS (Thyroid Imaging And Reporting System) erfolgen.

Außerdem rät die Fachgesellschaft, im Blut den TSH-Wert zu bestimmen. Weicht er von der Norm ab, sollten im nächsten Schritt zusätzlich die Schilddrüsenhormone fT4 und fT3 gemessen werden. „Ebenso empfehlen wir die Bestimmung des Calcitonin-Wertes“, so der Experte. Dadurch könnten die in etwa 0,5 Prozent der Fälle auftretenden sogenannten C-Zell Karzinome frühzeitig entdeckt werden. Die weiteren Schritte richten sich nach den Befunden und können Untersuchungen wie Feinnadelbiopsien und Szintigrafien beinhalten.

Hat man sich entschieden, den Knoten zu beobachten, sollte man ihn nach sechs bis zwölf Monaten erneut per Ultraschall kontrollieren, sagt Grußendorf. Bei weiterhin unauffälligem Befund kann die nächste Nachkontrolle nach zwei bis drei Jahren und dann nach fünf Jahren erfolgen. „Da bei initial unauffälligen Schilddrüsenknoten danach nur noch sehr wenige Malignome auftreten, muss der Stellenwert einer langjährigen Nachsorge jedoch kritisch hinterfragt werden“, ergänzt er.


Literatur:

Kiel S, Ittermann T, Steinbach J, Völzke H et al.: The course of thyroid nodules and thyroid volume over a time period of up to 10 years: a longitudinal analysis of a population-based cohort. Eur J Endocrinol. 2021;185(3):431–439

Gharib H, Papini E, Garber JR et al. AACE/ACE/AME Task Force on Thyroid Nodules. American Association of Clinical Endocrinologists (AACE), American College of Endocrinology (ACE) and Associazione Medici Endocrinologi (AME) Medical Guidelines for Clinical Practice for the Diagnosis and Management of Thyroid Nodules – 2016 Update. Endocr Pract. 2016;22(5):622-639.

Haugen BR, Alexander EK, Bible KC et al.: 2015 American Thyroid Association Management Guidelines for Adult Patients with Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer: The American Thyroid Association Guidelines Task Force on Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer. Thyroid. 2016;26(1):1-133

Grussendorf M, Ruschenburg I, Brabant G. Malignancy rates in thyroid nodules – a long-term cohort study of 17,592 patients. Eur Thyroid J. 2022;11(4): e220027 (free access).

Møllehave LT, Eliasen MH, Strele I, et al. Register-based information on thyroid diseases in Europe: lessons and results from the EUthyroid collaboration. Endocr Connect. 2022;11(3): e210525


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE)

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