Neue Therapieentwicklungen bei erblich bedingten Netzhautschäden – Statement von Professor Dr. med. Eberhart Zrenner.
Die Augenheilkunde hat in den zurückliegenden fünfzehn Jahren in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle in der Medizin eingenommen. Das betrifft insbesondere neue Therapieentwicklungen für Netzhautschäden. So hat die Augenheilkunde eine Schrittmacher-Stellung bei den gentherapeutischen Therapieansätzen für erbliche Netzhaut-Degenerationen errungen – und ich freue mich natürlich, dass die erste okuläre Gentherapie in Deutschland im November 2015 in Tübingen begonnen hat. Weltweit laufen mindestens zehn gentherapeutische Studien. Dabei geht es darum, Nervenzellen der Netzhaut zu retten, die noch leben, und ihnen durch Vektoren die entsprechenden Baupläne für die fehlenden Proteine einzuschleusen.
Weitere interessante neue Wege gibt es bei der Neuroprotektion mit Wachstumsfaktoren, sei es mit verkapselten Zellfabriken im Glaskörper, die solche Faktoren herstellen, oder mit Elektrostimulation, die endogene Wachstumsfaktoren freisetzt. Auch hier hat die Augenheilkunde eine Vorreiterrolle eingenommen.
Besonders interessant sind die neuen therapeutischen Entwicklungen in Fällen, bei denen die lichtempfindlichen Zellen vollständig abgestorben sind. Hier ist bereits in klinischen Studien der Weg der Stammzell-Implantation von retinalen Pigmentepithelzellen oder jetzt sogar von Fotorezeptoren beschritten worden.
Des Weiteren hat die Optogenetik Möglichkeiten gefunden, Zellen der inneren Netzhaut nach dem Absterben der äußeren lichtempfindlichen Netzhaut mithilfe von Kanalrhodopsinen wieder lichtempfindlich zu machen. Das funktioniert präklinisch ganz gut, klinische Versuche sind zu erwarten.
Bei Erblindungen durch erbliche Netzhaut-Degenerationen wurden mit elektronischen Implantaten ebenfalls neue Wege beschritten, indem ganz prinzipiell die Weitergabe von elektronischen Bildsignalen in die Sehbahn hinein gelungen ist und dies Blinden wieder eine – wenn auch sehr reduzierte – Sehleistung erlaubt. Unser neues Tübinger Retina-Implantat Alpha ist nach 20-jähriger Entwicklung vor wenigen Monaten zugelassen worden und damit für Retinitis pigmentosa-Patienten verfügbar. Eine örtlich derart hochauflösende räumliche Ankoppelung elektrischer Signale an Nervenbahnen gibt es sonst in keinem anderen Bereich als in der Augenheilkunde.
Nicht zuletzt sind die neuen bildgebenden Verfahren mit den sogenannten „Adaptive Optics“ – ein neuartiger Zugang, Nervenzellen auf Einzelzellebene sichtbar zu machen und damit die Entwicklung von Gewebe sowie Wirkungen neuer Therapieansätze sozusagen „life“ zu beobachten – eine einzigartige Domäne der Augenheilkunde geworden.
Ich halte die gegenwärtige Phase in der ophthalmologischen Forschung für eine der aufregendsten Perioden in der Augenheilkunde in den vergangenen hundert Jahren – die uns bereits die Einführung der Lasertechnik, der Linsen-Implantation und der in-vivo bildgebenden Verfahren der Netzhaut gebracht haben – und freue mich natürlich sehr, an vorderster Front dabei sein zu dürfen.
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