Dienstag, Oktober 1, 2024

Neue Therapien der Amblyopie, der Schwachsichtigkeit bei Kindern

Amblyopie – Schwachsichtigkeit, eine der häufigsten Sehstörungen bei Kindern – kann man mit Mikrochip und Computer-Stimulation effektiv therapieren.

Wie entwickelt sich eine Amblyopie – Schwachsichtigkeit – und was bedeutet sie für das Kind? Die Amblyopie stellt mit einer Krankheitshäufigkeit von drei bis acht Prozent weltweit eine der häufigsten kindlichen Sehstörungen dar. Sie beruht auf einer unzureichenden Entwicklung des Sehsystems in der frühen Kindheit und ist verantwortlich für eine lebenslang reduzierte Sehschärfe auf einem oder auf beiden Augen.



Nach neuesten Studien beträgt die Krankheitshäufigkeit in Deutschland mindestens 5,6 Prozent (Gutenberg-Gesundheitsstudie von 2015). Ursache etwa jeder zweiten Schwachsichtigkeit sind nicht korrigierte, häufig seitendifferente Fehlsichtigkeiten (Anisometropie).

Weitere häufige Ursachen für eine Schwachsichtigkeit sind ein Schielen (Strabismus) (23 Prozent) oder eine Kombination von den bereits genannten beiden Ursachen (18 Prozent).

Das Bild des schwachsichtigen oder des schielenden Auges wird dabei im Gegensatz zu dem Führungsauge entweder unscharf oder gar versetzt abgebildet. Da dies die Orientierung und visuelle Wahrnehmung stark „stören“ kann, wird der Seheindruck des schlechteren Auges vom Gehirn in der Entwicklungsphase des Sehens unterdrückt.

Da der korrekte Reiz für eine optimale Entwicklung der Sehschärfe fehlt, kann sich in dieser sensitiven Phase kein vollwertiges Sehvermögen oder auch räumliches Sehen entwickeln.

Wenn keine offensichtliche Schielstellung oder kein sichtbarer organischer Fehler vorliegen, ist für das Umfeld des Kindes dessen Schwachsichtigkeit sehr oft nicht erkennbar.



 

Wie man derzeit Amblyopie, Schwachsichtigkeit bei Kindern, behandelt

Die Behandlung einer Amblyopie sollte so früh wie möglich nach Erkennung begonnen werden, denn die Schachsichtigkeit kann man nur in der Kindheit erfolgreich behandeln.

Je höher das Alter des Kindes (circa ab dem achten Lebensjahr) und je weiter fortgeschritten die visuelle Reifung bei Therapiebeginn ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolges.

Grundlagen der Behandlung sind in Deutschland in der Regel eine Korrektur der Fehlsichtigkeit (Brille) und/oder eine Okklusionsbehandlung (Abdecken des besser sehenden Auges und monokulare Stimulation des schwachsichtigen Auges (siehe Abbildung). Die Therapie der Amblyopie wird durch die niedergelassenen Augenärzte in Deutschland breitflächig abgedeckt.

Abbildung 1: Links: TheraMon®-Mikrosensor (blau) im Okklusionspflaster (Außen- und Innenansicht). Rechts: TheraMon®-Mikrosensor (blau) kaum sichtbar integriert im Pflaster auf dem linken Auge. © Professor Dorothea Besch, Universitäts-Augenklinik Tübingen
Abbildung 1: Links: TheraMon®-Mikrosensor (blau) im Okklusionspflaster (Außen- und Innenansicht). Rechts:
TheraMon®-Mikrosensor (blau) kaum sichtbar integriert im Pflaster auf dem linken Auge.
© Professor Dorothea Besch, Universitäts-Augenklinik Tübingen

 

Fortschritte in der Therapie – Mikrosensor für Brille und für Abdeckpflaster

Der Therapieerfolg ist in starkem Maße abhängig von der Mitarbeit des Kindes beziehungsweise der Motivation durch die Eltern und die behandelnden Ärzte/Orthoptistinnen (Tragen der Brille, Dauer des Pflasterabklebens). Lange Zeit gab es keine Möglichkeit, die Tragezeit von Pflaster und Brille effektiv zu kontrollieren und so mit dem Therapieerfolg zu korrelieren.

Auch war lange ungewiss, inwieweit die abnehmende Wirkung der Okklusion mit zunehmendem Alter durch das Abnehmen der neuronalen Plastizität oder die verminderte Mitarbeit bei älteren Kindern zu erklären ist. Hier eröffnete die Möglichkeit, die Okklusionszeiten elektronisch mittels Hautwiderstand-, Temperaturdifferenz- oder Temperaturmessungen zu erfassen, neue Erkenntnisse.



Seit 2013 konnte man beispielsweise an der Universitäts-Augenklinik Tübingen ein neuer Mikrochip, angelehnt an Erkenntnisse aus der Zahnheilkunde, zur Überwachung der Abklebezeiten weiterentwickeln und testen. Der TheraMon®-Mikrosensor eignet sich insbesondere aufgrund seiner geringen Größe und Eigenschaften für einen breitflächigen Einsatz. Und zwar zur Überwachung der Okklusionstherapie und zur Überwachung der Brillentragezeit.

Übereinstimmend konnten alle Studien mit elektronischer Erfassung der Okklusionszeiten belegen, dass die tatsächlich durchgeführte Okklusion deutlich geringer ist als die verschriebene. Als Konsequenz sollte diesem Aspekt mehr Aufmerksamkeit (Erforschung soziologischer und psychologischer Ursachen) gewidmet und die empfohlene Durchführung gefördert (zum Beispiel durch ein Belohnungsprogramm) werden.

Da in über der Hälfte der Fälle eine kindliche Schwachsichtigkeit durch eine Fehlsichtigkeit verursacht wird, spielt auch das Tragen der Brille eine wichtige Rolle in der Therapie. Mittels des Mikrosensors ist hierbei erstmals eine Kontrolle der tatsächlich getragenen Brillenzeiten möglich.

Eine objektive Erfassung der Brillenakzeptanz sowie der Pflaster-Okklusion bei schwachsichtigen Kindern ermöglicht eine mehr evidenzbasierte Therapiesteuerung auf der Basis tatsächlich durchgeführter Brillentragezeit und tatsächlich durchgeführter Okklusion. Zusätzlich untermauern die Daten zur abnehmenden Wirksamkeit der Okklusionstherapie mit zunehmendem Kindesalter die Wichtigkeit der früheren Diagnose und Therapie als primäres Ziel.

 

Alternative Therapieverfahren – computerbasierte ein- oder beidäugige Stimulation

Derzeitig werden neue monokulare und binokulare Trainingsverfahren auf der Basis von psychophysischen Übungen am Computer und von Computerspielen zur Verbesserung der Sehschärfe und des beidäugigen Sehens getestet. Durch neue Ansätze zur Förderung der Plastizität im Sehsystem könnten damit auch amblyope Erwachsene profitieren. Ergänzend diskutieren Experten, ob solche alternativen Verfahren die Okklusionstherapie bei Kindern ergänzen oder gar ersetzen könnten.



 

Dichoptisches Training

Aktuell wird insbesondere dichoptisch präsentierten Übungsverfahren ein mögliches Potenzial zugeschrieben. Durch Computerbrillen werden dabei beide Augen simultan stimuliert. Wobei die Stimulation beim schwachsichtigen (schlechtere) Auge durch einen höheren Kontrast intensiver geschieht als beim anderen (besseren) Auge.

Dieses sogenannte „dichoptische Training“ soll zu einer besseren beidäugigen Zusammenarbeit und stabileren Sehverbesserungen führen. So wird das Spiel Tetris bei Erwachsenen erprobt, bei dem die herabfallenden Blöcke nur von einem Auge, die am Boden passenden Blöcke nur von dem anderen Auge gesehen werden können und erst die Kombination der Bilder beider Augen ein erfolgreiches Spiel ermöglicht.

 

Shutterbrille bei einseitiger Schwachsichtigkeit bei Kindern

Die Amblyz® Shutterbrille ist eine neuartige Therapiemöglichkeit bei einseitiger Schwachsichtigkeit bei Kindern. Diese Brille soll neben einem Fehlsichtigkeitsausgleich gleichzeitig eine vorhandene Schwachsichtigkeit therapieren.

Die elektronische Shutterbrille dunkelt das Brillenglas des besser sehenden Auges in regelmäßigen Zeitabständen ab: 30 Sekunden offen, 30 Sekunden geschlossen. Erste Ergebnisse einer Pilotstudie mit kleinen Patientenzahlen und einem kurzen Untersuchungsintervall fanden keinen signifikanten Unterschied zwischen der Okklusionstherapie (zwei Stunden/Tag) und der Shutterbrille (vier Stunden/Tag). Wobei dies jedoch nur beschränkt auf das europäische Therapieschema übertragbar ist.

Weitere umfangreiche vergleichende Studien sind erforderlich, um zu klären, ob (und für welche Amblyopie-Formen) alternative Therapieverfahren der Okklusionstherapie überlegen sein könnten. Oder ob sie die aktuelle Amblyopie-Therapie sinnvoll ergänzen könnten.

 




Literatur:

Elflein HM et al. The prevalance of amblyopia in Germany: data from the prospective, population-based Gutenberg Health Study. Deutsch Arztebl Int. 2015, 112(19):338-344.

Fronius M. Okklusionstherapie bei Amblyopie. Ophthalmologe 2016, 113:296-303.

Schramm C et al. Limitations of the TheraMon® -microsensor in monitoring occlusion therapy. Acta Ophthalmol. 2016 Jun 27 [Epub ahead of print].

Januschowski K et al. Measuring wearing times of glasses and ocular patches using a thermosensor device from orthodontics. Acta Ophthalmol. 2013 Dec;91(8):e635-40.

Bach, M. Dichoptisches Training bei Amblyopie. Ophthalmologe 2016, 113(4)304-306.

Wang J et al. A pilot randomized clinical trial of intermittent occlusion therapy liquid crystal glasses versus traditional patching for treatment of moderate unilateral amblyopia. J AAPOS. 2016 Aug;20(4):326-31.


Quelle:

Statement »Schwachsichtigkeit (Amblyopie) bei Kindern: Fortschritte in der Therapie mit Mikrochip und computerbasierter Stimulation« von Professor Dr. med. Dorothea Besch, Leiterin der Klinischen Sektion für Motilitätsstörungen, bei der Vorab-Pressekonferenz anlässlich des 114. Kongresses der DOG.

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