Donnerstag, April 25, 2024

Neue Leitlinie zu Zöliakie – dem Chamäleon der Gastroenterologie

Die aktualisierte neue Leitlinie zu Zöliakie – dem Chamäleon der Gastroenterologie – erleichtert die Diagnose, hilft für die Beratung und steigert die Lebensqualität.

Im Grunde genommen bezeichnet man die Zöliakie auch als das Chamäleon der Gastroenterologie. Denn die Symptome wie Bauchschmerzen, Bläh- und Völlegefühl, chronischer Durchfall, Übelkeit sowie Gewichtsverlust treten bei vielen Magen-Darm-Erkrankungen auf und sind nicht eindeutig. Deswegen müssen Betroffene bis zur feststehenden Diagnose mitunter einen langen Leidensweg hinter sich bringen. Unter Mitwirkung von Expertinnen und Experten aus der Gastroenterologie, Kindergastroenterologie, Pathologie, Genetik, Ernährungsmedizin, Ernährungswissenschaft und Mitgliedern der Patientenselbsthilfegruppe Deutsche Zöliakie Gesellschaft (DZG) wurde jetzt die neue S2K-Leitlinie Zöliakie veröffentlicht. Die Leitlinie soll den Weg zur gesicherten Diagnosestellung verkürzen und die Beratungskompetenz bei den Behandelnden stärken, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

 

Jede hundertste Person in Europa betroffen

Verschiedene große epidemiologische Studien haben übereinstimmend gezeigt, dass ungefähr 1 Prozent der Bevölkerung Europas von einer Zöliakie betroffen ist. „Die Symptome der Zöliakie und die Erkrankungssituationen der Betroffenen sind unglaublich variabel. Um dieser Komplexität zu begegnen, haben wir Übersichten geschaffen. Diese stellen die Zöliakie-Symptomatik, mögliche Differentialdiagnosen, bei denen Zöliakie erwogen werden sollte und genetische Syndrome, Autoimmunerkrankungen sowie Konstellationen mit einem erhöhten Zöliakie-Risiko strukturiert dar“, so Leitlinienkoordinator Privatdozent Dr. med. Michael Schumann, Oberarzt der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie der Charité Berlin. Erklärtes Ziel sei es, Ärztinnen und Ärzten einfache Vorgehensweisen aufzuzeigen, um bei einem Verdacht die Diagnose Zöliakie schneller stellen zu können oder diese auszuschließen.

 

Aktualisierte Methoden zur Diagnostik bei Zöliakie in der neuen Leitlinie

In der Diagnostik selbst galt lange Zeit eine Gewebeprobe aus dem Duodenum, also aus dem Zwölffingerdarm, als Goldstandard. In der aktualisierten Leitlinie wird jedoch insbesondere die Diagnostik bei Zöliakie mittels Serologie, also dem Nachweis im Blut, gestärkt.

„Es ist möglich im Serum Antikörper nachzuweisen, die nur bei einer Zöliakie auftreten. Die sogenannte Transglutaminase-IgA-Antikörper (tTg-IgA). Der im Serum des Patienten ermittelte Titer, also die Antikörperkonzentration im Serum, erlaubt eine sehr präzise Diagnostik,. Daher empfehlen wir bei Verdacht auf Zöliakie als ersten Schritt die serologische Untersuchung. Im nächsten Schritt, bei einem positiven Befund, führen wir dann eine Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD), also eine Magenspiegelung, durch“, erklärt Leitlinienkoordinator Dr. med. Jörg Felber, leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik II am RoMed Klinikum Rosenheim. Das gelte zumindest für Erwachsene.

Bei Kindern kann eine ÖGD zur Diagnosestellung umgangen werden: Sofern der tTg-IgA-Titer das 10-fache des oberen Normwertes übersteigt und das Ergebnis in einer zweiten Serumprobe zur Bestimmung eines zweiten Antikörpers, des Endomysium-IgA, bestätigt wird.

 

Die Bedeutung von Gluten

Ein Faktor erschwert allerdings die Diagnosestellung in der Erfahrung der Experten erheblich. „Schon vor der gesicherten Diagnose verzichten viele Menschen auf Gluten in Ihrer Ernährung. Mit unseren diagnostischen Tests messen wir jedoch die Reaktionen des Immunsystems auf Gluten – auch den langfristigen Effekt, den Gluten auf die Darmschleimhaut hat. Fehlen Antikörper im Blut oder Entzündungszeichen der Darmschleimhaut, ist eine eindeutige Diagnose oft nicht möglich. So entstehen dann falsch-negative Ergebnisse“, erläutert Schumann. Die aktualisierte Leitlinie enthält deswegen auch praxisnahe Empfehlungen zur Durchführung einer Gluten-Reexposition, also der Wiederaufnahme von Gluten in die Ernährung, zum Zwecke der adäquaten Diagnosestellung. Zudem wird auf die weitere Labordiagnostik bei Erstdiagnose und das regelmäßige Monitoring der Zöliakie-Betroffenen eingegangen.

 

Behandlung

Schließlich gilt die die glutenfreie Diät als die Therapie der Wahl bei Zöliakie. Dies beinhaltet die strikte, lebenslange Elimination von Gluten in der Ernährung. Daher stärkt das Therapiekapitel der Leitlinie die ernährungsmedizinische Kompetenz behandelnder Ärztinnen und Ärzte, um Patientengespräche besser führen zu können. Denn das wichtigste sei, gemeinsam mit professionellen Ernährungstherapeutinnen und -therapeuten Betroffenen zu helfen, selbst Kompetenzen und Wissen in Bezug auf ihre Ernährung aufzubauen, erklärt Felber.


Literatur:

Mustalahti K, Catassi C, Reunanen A, Fabiani E, Heier M, McMillan S, Murray L, Metzger MH, Gasparin M, Bravi E, Mäki M; Coeliac EU Cluster, Project Epidemiology. The prevalence of celiac disease in Europe: results of a centralized, international mass screening project. Ann Med. 2010 Dec;42(8):587-95. doi: 10.3109/07853890.2010.505931. PMID: 21070098.

Penny HA, Raju SA, Lau MS, Marks LJ, Baggus EM, Bai JC, Bassotti G, Bontkes HJ, Carroccio A, Danciu M, Derakhshan MH, Ensari A, Ganji A, Green PHR, Johnson MW, Ishaq S, Lebwohl B, Levene A, Maxim R, Mohaghegh Shalmani H, Rostami-Nejad M, Rowlands D, Spiridon IA, Srivastava A, Volta U, Villanacci V, Wild G, Cross SS, Rostami K, Sanders DS. Accuracy of a no-biopsy approach for the diagnosis of coeliac disease across different adult cohorts. Gut. 2021 May;70(5):876-883. doi: 10.1136/gutjnl-2020-320913. Epub 2020 Nov 2. PMID: 33139268; PMCID: PMC8040155.

Taavela J, Koskinen O, Huhtala H, Lähdeaho ML, Popp A, Laurila K, Collin P, Kaukinen K, Kurppa K, Mäki M. Validation of morphometric analyses of small-intestinal biopsy readouts in celiac disease. PLoS One. 2013 Oct 11;8(10):e76163. doi: 10.1371/journal.pone.0076163. PMID: 24146832; PMCID: PMC3795762.


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)

Zur neuen Zöliakie-Leitlinie: https://www.dgvs.de/wissen/leitlinien/leitlinien-dgvs/zoeliakie/

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