Freitag, April 19, 2024

Weltweit jährlich fast 8 Millionen Demenz-Kranke mehr

Demenz-Kranke, die Rolle von Entzündungsprozessen, Vitamin-D-Mangel, die Alzheimer-Impfung und neue Therapien sind Highlights am Neurologie-Weltkongress.

 

Alle vier Sekunden gibt es weltweit einen neuen Fall von Demenz. Am Weltkongress für Neurologie in Santiago de Chile diskutieren in diesen Tagen Experten über Alzheimer Demenz-Kranke und andere Demenzerkrankungen. Experten berichten über neueste Fortschritte auf dem Gebiet der „Alzheimer-Impfung“, weiters werden Daten zu einem neuen monoklonalen Antikörper gegen Alzheimer, zu Biomarkern für eine Verbesserung der Früherkennung sowie zur Rolle von Entzündungsprozessen oder von Vitamin-D-Mangel bei Demenzerkrankungen präsentiert.

Demenzerkrankungen gehören zu den großen Herausforderungen für die moderne Neurologie. WHO-Schätzungen zufolge leben weltweit 47,5 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen. „Alle vier Sekunden tritt ein neuer Fall auf, jährlich wächst die Zahl der Betroffenen laut WHO um 7,7 Millionen Menschen“, sagte Roger Rosenberg, Professor für Neurologie und und Direktor des Alzheimer-Zentrums, University of Texas Southwestern Medical Center, auf dem Weltkongress für Neurologie (WCN 2015) in Santiago de Chile.

Rund 3.500 Teilnehmer treffen in der chilenischen Hauptstadt für die weltweit führende neurologische Tagung zusammen. „Demenz ist das Gesundheitsproblem, das sich in den kommenden Jahrzehnten am rasantesten entwickeln wird.“ Die Alzheimer-Erkrankung ist die häufigste Form von altersbedingter Demenz, und für 60 bis 70 Prozent aller dementiellen Erkrankungen verantwortlich.

 

Deutlich erhöhtes Demenzrisiko nach Schlaganfall

Die Kongressteilnehmer diskutieren Zusammenhänge zwischen Demenz und anderen neurologischen Erkrankungen. Ein türkisches Forscherteam präsentiert neue Daten, denen zufolge 30 Prozent der untersuchten Schlaganfall-Patienten ein Jahr nach dem Ereignis an Demenz litten.

„Das bedeutet ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko nach Schlaganfall, möglicherweise ein weiterer Hinweis, dass es Interaktionen zwischen vaskulären und neurodegenerativen Prozessen gibt“, so Prof. Rosenberg.

30 Prozent der untersuchten Schlaganfall-Patienten litten ein Jahr nach dem Ereignis an Demenz.

 

Wichtige Rolle von Entzündungsprozessen und Vitamin D

Andere Forschungsergebnisse, die auf dem WCN präsentiert werden, bemühen sich um die Identifizierung von Faktoren, die die Entwicklung von Demenzerkrankungen fördern oder beschleunigen. Entzündungsprozesse stehen bereits seit längerer Zeit im Verdacht, bei Alzheimer eine Rolle im Krankheitsgeschehen zu spielen. Prof. Rosenberg: „Brasilianische Forscher konnten zeigen, dass bei Menschen mit einer milden Alzheimer-Erkrankung oder einer milden kognitiven Beeinträchtigung ein systemisches Entzündungsgeschehen mit der Konnektivität, also der Verbindung zwischen Gehirnregionen, korreliert, die beim Nichtstun aktiv werden („Default Mode Network“, DMN).

Die Studienautoren schlagen vor, dies nun in groß angelegten Studien zu überprüfen, in denen MCI-Patienten mit Vitamin D supplementiert werden sollen.

Leichte kognitive Beeinträchtigungen (mild cognitive impairment, MCI) gelten als ein Stadium zwischen dem natürlichen Alterungsprozess und Demenzerkrankungen. Nicht alle MCI-Betroffenen entwickeln allerdings eine Demenz. „Wenn wir die Risikofaktoren identifizieren können, die dazu beitragen, dass sich MCI zur Demenz entwickelt, wäre das ein wichtiger Schlüssel für eine effektive Demenz-Prävention“, so Prof. Rosenberg.

Vitamin D könnte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen, wie eine argentinische Studie zeigt, die auf dem WCN präsentiert wird. „Eine Unterversorgung mit Vitamin D erhöht das Demenz-Risiko“, fasste Prof. Rosenberg zusammen. Die Studienautoren schlagen vor, dies nun in groß angelegten Studien zu überprüfen, in denen MCI-Patienten mit Vitamin D supplementiert werden sollen.

 

Prävention durch eine Alzheimer-Impfung

Besonderes Interesse besteht an den Präsentation zur Prävention und Früherkennung von Demenzerkrankungen. Was Alzheimer betrifft, so konzentrieren sich zahlreiche Forscherteams weltweit auf die Rolle des Proteins Amyloid-beta und von Amyloid-Ablagerungen im Gehirn im Krankheitsgeschehen. Die Entschlüsselung dieser Mechanismen liefert die Grundlage für neue therapeutische und präventive Ansätze, etwa die Immunisierung gegen Amyloid-beta, die „Alzheimer-Impfung“.

Prof. Rosenberg präsentiert auf dem WCN eigene Forschungsergebnisse zu einem Impfkonzept, bei dem DNA, in die Amyloid-Beta 42 eingebracht ist, mittels „Gen-Kanone“ injiziert wird. Die injizierte DNA führt in der geimpften Person zur Entstehung von Amyloid-Beta, gegen das in der Folge eine Immunreaktion in Gang gesetzt wird. „Unsere Daten belegen die Wirksamkeit und Sicherheit sowie den möglichen therapeutischen Nutzen der DNA-Amyloid-Beta 42 Impfung bei Menschen mit Alzheimer-Risiko“, so Prof. Rosenberg.

 

Amyloide-Beta, tau-Oligomer

Es gibt auch andere therapeutische Ansätze, die auf Amyloide abzielen, wie eine neue Studie zeigt. „Aducanumab, ein monoklonaler Anti-Amyloid-Antikörper, hat in einer Pilotstudie, die auf dem WCN präsentiert wird, klinischen Nutzen gezeigt. Die Substanz konnte die Amyloide-Beta-Ablagerungen reduzieren und die kognitive Verschlechterung verlangsamen“, kommentierte Prof. Rosenberg die Ergebnisse. „Jetzt ist eine klinische Phase-3-Studie geplant.“

Fortschritte berichten Forschergruppen aus aller Welt auch, was eine mögliche Verzögerung des Krankheitsausbruchs betrifft. Wissenschaftler der Universität Texas präsentieren auf dem WCN neue Daten zum Potenzial einer spezifischen Gruppe von Antikörpern in diesem Zusammenhang, nämlich von Antikörpern gegen tau-Oligomere. Ungewöhnliche Konzentrationen von tau-Proteinen sind bei einer Reihe von neurodegenerativen Erkrankungen nachweisbar. „tau-Oligomer-Antikörper werden verwendet, um die Höhe der Konzentration von tau zu identifizieren und könnten sich als eine Möglichkeit erweisen, den Ausbruch neurodegenerativen Erkrankungen hinauszuzögern“, so Prof. Rosenberg.

Quellen:

WCN 2015 Abstract Balthazar et al., Systemic inflammation is linked to default mode network functional connectivity in mild Alzheimer’s disease and mild cognitive impairment;

WCN 2015 Abstract Golimstok et al., Vitamin D and progression in mild cognitive impairment (MCI);

WCN 2015 Abstract Guerchet et al., Prevalence of dementia in sub-Saharan Africa: systematic review and meta-analysis;

WCN 2015 Lasagna-Reeves et al, Targetint tau protein stability in Alzheimer Disease to identify novel therapeutic entry points;

WCN 2015 Abstract Logroscino, Dementias across continents: The Global Burden of Disease Study;

WCN 2015 Abstract Olavarria et al., Chilean health professionals’ perception of knowledge about dementia;

WCN 2015 Abstract Papuc et al., Antibodies against glial derived antigens as early biomarkers of hypocampal demyelination and memory loss;

WCN 2015 Abstract Rakez et al., Tau oligomers as a therapeutic target for Alzheimer’s disease;

WCN 2015 Abstract Rosenberg and Lambracht-Washington, DNA AB 42 vaccination as therapy to prevent Alzheimer’s disease;

WCN 2015 Abstract Sevigny et al., Randomized, placebo-controlled phase 1B study of anti-beta amyloid aducanumab (BIIB037) in prodromal AD/mild dementia: interim results by patient subgroup;

WCN 2015 Abstract Tamam and Tamam, Prevalence of dementia one year after stroke.

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