Donnerstag, März 28, 2024

Versorgung von Schmerzpatienten in Österreich

Österreichische Schmerzexperten geben im Vergleich zu anderen europäischen Ländern der Versorgung von Schmerzpatienten in Österreich kein gutes Zeugnis.

 

Wien ist dieser Tage der Treffpunkt führender Schmerzexperten aus ganz Europa: Die Europäische Schmerzföderation EFIC erwartet für ihren 9. Kongress „Pain in Europe XI“ mehr als 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt. Auf der Agenda stehen nicht nur aktuelle Therapien und richtungsweisende Forschungserkenntnisse, sondern auch die Frage, wie sich die Versorgung von Schmerzpatienten in Österreich und in den verschiedenen anderen Ländern gestaltet oder gestalten sollte.

Die Probleme bei der Versorgung der rund 1,5 Millionen chronischen Schmerzpatienten in Österreich spitzt sich zu.

„Der EFIC-Kongress stellt also eine gute Gelegenheit dar, die Versorgungssituation von Schmerzpatienten in Österreich im europäischen Vergleich zu analysieren und sich an fortschrittlichen internationalen Modellen zu orientieren“, so OA Dr. Wolfgang Jaksch, DEAA, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG).

 

Aktuelle Versorgungsdefizite von Schmerzpatienten in Österreich

Dies sei schon deshalb interessant, weil die Versorgungslage für Schmerzpatienten in Österreich alles andere als befriedigend sei, so der ÖSG-Präsident: „Angesichts des finanziellen Drucks im Gesundheitssystem spitzen sich die Probleme bei der Versorgung der rund 1,5 Millionen chronischen Schmerzpatienten in Österreich zu. Ein zentrales Problem ist, dass es bisher nie einen Top-Down-Prozess für eine strukturierte Planung der Versorgung gegeben hat, der auch ausreichende gesundheitspolitische Unterstützung genossen hätte.“

Vorhandene Strukturen wie spezialisierte Schmerzambulanzen oder Akutschmerzdienste in Krankenhäusern würden bisher in erster Linie auf dem persönlichen Engagement Einzelner basieren, aufgrund von mangelnden Zeit- und Personalressourcen drohten solche Strukturen allerdings immer mehr zusammenzubrechen, warnt Dr. Jaksch: „Wir müssen erleben, dass Schmerzdienste in den Spitälern ersatzlos gestrichen werden, sogar im größten Haus in Österreich, dem Wiener AKH. Laufend werden Schmerzambulanzen geschlossen, derzeit sind es weniger als 40 in ganz Österreich. Eine Folge sind inakzeptable lange Wartezeiten, aufgrund derer niedergelassene Kollegen eine Überweisung von Patienten, die von einer solchen Einrichtung profitieren würden, gar nicht erst ins Auge fassen.“

Viele innovative Analgetika für Schmerzpatienten in Österreich seien chefarztpflichtig und eine Verschreibungsgenehmigung für diese im niedergelassenen Bereich oft nur schwer zu bekommen.

Die Ordinationen im niedergelassenen Bereich können die entstehenden Engpässe nicht kompensieren, kritisiert der ÖSG-Präsident: „Zum einen ist die Zahl der niedergelassenen Kassenärzte im Verhältnis zur Bevölkerung rückläufig. Zum anderen ist die Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronischen Schmerzen zeitlich aufwändig. Dieser Aufwand wird von den Krankenkassen nicht annähernd abgegolten, weil die Behandlung von Schmerzen als eigenständiges Krankheitsbild nicht in den Leistungskatalogen vorkommt.“

Dazu komme, dass viele der innovativen Analgetika chefarztpflichtig sind und eine Verschreibungsgenehmigung für diese im niedergelassenen Bereich oft nur schwer zu bekommen bis unmöglich ist. „Bei der Beurteilung der Refundierung durch den Hauptverband steht leider vor allem das Kriterium der vergleichbaren Schmerzlinderung im Fokus. Dass die Verträglichkeit besser ist, ein entscheidender Aspekt für die Lebensqualität, findet leider keine Berücksichtigung“, kritisiert Dr. Jaksch.

 

Entwicklung von Bundesqualitätsstandards für die Versorgung von Schmerzpatienten in Österreich

Einige Hoffnung  setzen die Schmerzspezialisten jetzt auf das Ergebnis einer parlamentarischen Initiative der Grünen, auf die sich kürzlich alle Parteien verständigt haben:  Die Gesundheit Österreich GmbH soll von der Gesundheitsministerin mit der Grundlagenarbeit für Bundesqualitätsstandards zur Verbesserung der Versorgung von Schmerzpatienten in Österreich beauftragt werden.

„Hoffentlich erleidet dieser Beschluss nicht das Schicksal eines ähnlichen früheren Entschließungsantrages, der leider ohne Folgen blieb. Oder das Schicksal des Konzepts zur abgestuften Schmerzversorgung, das die ÖSG gemeinsam mit dem ÖBIG vor mehr als sieben Jahren entwickelt hat und das in der politischen Schublade verschwand“, gibt der ÖSG-Präsident zu bedenken.

 

Strukturierte Schmerzversorgungspyramide für Schmerzpatienten in Österreich

Aus Sicht der ÖSG ist ein zentrales Element für die nun geforderten Bundesqualitätsstandards eine strukturierte Schmerzversorgungspyramide, die eine sinnvoll abgestufte Versorgung – im Sinne des „best point of service“ – vom Hausarzt über den spezialisierten Schmerzmediziner und die Schmerzambulanz bis zur bettenführenden Schmerzabteilung oder das spezialisierte Schmerz-Reha-Zentrum umfasst. Dr. Jaksch: „Den aktuellen Europäischen Schmerzkongress in Wien sollten wir jedenfalls nutzen, einen Blick über die Grenzen zu werfen, um zu prüfen, an welchen Modellen sich Österreich orientieren könnte und in welche Richtung es Aufholbedarf gibt.“

 

Italienisches Modell

Ein Nachbarland Österreichs, nämlich Italien, hat mit seinem bereits 2010 beschlossenen Gesetz Nr. 38 („Legge 38“) die Grundlage für wesentliche strukturelle Verbesserungen in der schmerzmedizinischen Versorgung gelegt. Es räumt den Bürgern das Recht auf palliativ- und schmerzmedizinische Versorgung ein und verpflichtet die italienischen Regionen, flächendeckend schmerzmedizinische und palliativmedizinische Angebote zu etablieren. Unter anderem wurde auch ein postpromotioneller Masterstudiengang für Schmerztherapie eingeführt.

 

Vorbild Belgien

„Vorbildlich ist insbesondere auch der Weg, den das belgische Gesundheitsministerium vor mehr als zweieinhalb Jahren eingeschlagen hat, ebenfalls ein Beispiel für eine sehr gelungene Top-Down-Planung, wie wir sie in Österreich dringend benötigen würden“, so ÖSG-Präsident Jaksch.

34 spezialisierte Einrichtungen, geografisch durch das gesamte Land verteilt und in Krankenhäusern angesiedelt, wurden im Zuge eines Akkreditierungsverfahren als „multidisziplinäre Schmerzzentren“ anerkannt und qualifizierten sich damit für eine zusätzliche öffentliche Finanzierung. Ihre Aufgabe ist die Behandlung von chronischen und in bestimmten Fällen subakuten Schmerzen, auf ambulanter und stationärer Basis. Als Voraussetzung für die Anerkennung waren zahlreiche Qualitäts- und Strukturkriterien zu erfüllen, darunter eine anspruchsvolle personelle Ausstattung mit Angehörigen unterschiedlicher medizinischer Fächer und nichtärztlicher Gesundheitsberufe, die zur multidisziplinären Schmerzbehandlung beitragen können.

Abgesehen von solchen hoch spezialisierten Einrichtungen wurde im Zuge der Reform der Schmerzversorgung jedes belgische Krankenhaus verpflichtet, interdisziplinäre Schmerzteams einzurichten, die aus mindestens einem Arzt oder einer Ärztin, einer Pflegekraft und einem Psychologen oder einer Psychologin bestehen müssen und die im Rahmen der regulären Spitalsfinanzierung abgegolten werden.

Der tatsächliche Personalstand hängt von der Bettenzahl des jeweiligen Spitals ab. Diese Schmerzteams sind verantwortlich für die optimale Versorgung akuter und chronischer Schmerzen, zu ihren Aufgaben gehören die Planung und Implementierung von Versorgungspfaden für stationäre Patienten, die Einrichtung eines hausinternen Pain Board und der Austausch mit multiprofessionellen Netzwerken in anderen Einrichtungen.

„Dieses Beispiel ist auch insofern bemerkenswert, als Belgien hinsichtlich Größe und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit mit Österreich durchaus vergleichbar ist, bei der Qualität der Schmerzversorgung inzwischen aber um so viel besser dasteht“, betont Dr. Jaksch.

 

Gutes Beispiel Deutschland

Im Nachbarland Deutschland haben die Fachgesellschaften und Verbände in der Schmerzmedizin einen Katalog über Struktur- und Qualitätskriterien für schmerzmedizinische Einrichtungen entwickelt, der soeben erschienen ist. Nach fachgebietsbezogenen Einrichtungen folgen die „Praxis/Ambulanz für Spezielle Schmerztherapie“ und schließlich das „Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzmedizin“ mit einem multiprofessionellen und multimodalen Diagnose- und Therapiekonzept.

Sonderformen stellen schmerzpsychotherapeutische Einrichtungen dar, die in der Versorgung ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen. Außerdem interdisziplinäre Syndrom-orientierte Zentren wie Kopfschmerz- oder Rückenschmerzzentren. Durch die definierten Kriterien kann die schmerzmedizinische Versorgung überprüfbar verbessert werden, weil sie unter anderem die Voraussetzung für eine Bedarfsplanung schafft.

ÖSG-Präsident Jaksch: „Es ist also keineswegs notwendig, das Rad neu zu erfinden, wenn wir den vielen Menschen in Österreich, die an chronischen Schmerzen leiden, endlich eine bessere Versorgung anbieten wollen. Wir können auf intensive Vorarbeiten im Land und internationale Modelle aufbauen. Nun braucht es endlich den politischen Willen, dies auch umzusetzen.“

http://efic.kenes.com/

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