Donnerstag, April 25, 2024

Keine Schmerzen spüren: Schmerzunempfindlichkeit kann für den Körper gefährlich sein

Eine angeborene Schmerzunempfindlichkeit durch Gendefekt kann dramatische Folgen haben, weil Patienten nach Verletzungen keine Schmerzen spüren können.

Ein seltener angeborener Gendefekt, eine Genmutation, führt dazu, dass Betroffene an einer Schmerzunempfindlichkeit leiden und dadurch keine Schmerzen spüren. Was auf den ersten Blick wie ein Segen klingt, kann schwere Folgen haben. Denn Verletzungen und Krankheiten werden oft gar nicht oder nur sehr spät erkannt. Ein Internationales Forscherteam der MedUni Wien, der Universität München sowie der Universität Cambridge konnten das betroffene Gen identifizieren.

 

Unbemerkte Verletzungen, Verbrennungen und Knochenbrüche, weil die Betroffenen keine Schmerzen spüren

Ausgangspunkt der Entdeckung der Genmutation zur Schmerzunempfindlichkeit waren zwei nicht miteinander verwandte Kinder, die von Geburt an keine Schmerzen spüren.

Die betroffenen Kinder fallen meist zum Zeitpunkt des Durchbruchs der ersten Zähne dadurch auf, dass sie sich selbst an Zunge, Lippen und Fingern verletzen. Sie beißen manchmal sogar Teile davon ab. Auch kommt es sehr leicht zu Knochenbrüchen, die wegen des fehlenden Schmerzempfindens oft über längere Zeit unbemerkt bleiben.



Die Schmerzunempfindlichkeit führt im Laufe des Lebens zu unbemerkten Verletzungen, Verbrennungen und Knochenbrüchen. Und zwar kann man diese wegen der fehlenden Warnung vor Schmerzen auch oft erst spät erkennen. Darunter leidet auch die Heilung. Ohne entsprechende medizinische Betreuung können diese Komplikationen sogar tödlich sein.

 

Mutationen im Gen PRDM12

Die WissenschaftlerInnen analysierten das gesamte Exom der PatientInnen, also alle Abschnitte der Erbsubstanz, die Proteine verschlüsseln. In beiden Fällen konnten sie Mutationen im Gen PRDM12 identifizieren.

Der Nachweis von Mutationen in demselben Gen bei zwei Personen aus verschiedenen Familien mit sehr ähnlichem Krankheitsbild war bereits ein starker Hinweis, dass wir hier das verantwortliche Gen entdeckt hatten.

Den endgültigen Beweis lieferten dann Ergebnisse der Forscher von der Universität Cambridge. Sie konnten ebenfalls PRDM12-Mutationen bei PatientInnen mit angeborener Schmerzunempfindlichkeit nachweisen.

Bei der Untersuchung weiterer Patienten mit angeborener Schmerzunempfindlichkeit stießen die Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem In- und Ausland auch noch auf weitere Mutationen.

 

Schmerzunempfindlichkeit durch gestörte Entwicklung des Nervensystems

Die Entdeckung der Ursache der Erkrankung ermöglicht die gezielte genetische Diagnostik und Beratung betroffener Patienten und ihrer Familien.

Einerseits steht zwar bisher keine Therapie zur Verfügung. Andererseits kann man unterstützende Maßnahmen einleiten. Dazu zählen Aufklärung und Schulung der Betroffenen und ihrer Familien. Dies kann jedenfalls die Gefahr von schweren Verletzungen und Komplikationen vermindern.



Die Studienautoren hoffen, durch die Publikation die Aufmerksamkeit von Ärzten und Genetikern für dieses sehr seltene und noch wenig bekannte Krankheitsbild zu erhöhen.

Um den Mechanismus der Erkrankung zu verstehen, untersuchten die Wissenschaftler die Funktion von PRDM12 anhand von Froschlarven. Der Verlust von PRDM12 führte dort zu fehlerhafter Entwicklung von Nervenzellen, die für die Schmerzwahrnehmung wichtig sind.

Das Gen PRDM12 enthält die Information für einen Faktor, der die Aktivität von anderen Genen und damit die Entwicklung von Zellen und Geweben festlegt. Das lässt vermuten, dass es durch den Ausfall von PRDM12 zu einer Fehlsteuerung bisher noch unbekannter Zielgene kommt, die für Entwicklung des Nervensystems und eine funktionierende Schmerzwahrnehmung notwendig sind.

 

Zusammenhang zwischen Schmerzunempfindlichkeit durch Gendefekt und einer gestörten Entwicklung und Funktion des Nervensystems

Der Zusammenhang zwischen der angeborenen Schmerzunempfindlichkeit und einer gestörten Entwicklung und Funktion des Nervensystems ist schon in früheren Untersuchungen belegt worden. Dabei betrafen Mutationen spezielle Natriumkanäle von Schmerzrezeptoren und Signalwege für Nervenwachstumsfaktoren.

Dass auch Störungen von Faktoren, die – wie PRDM12 – das Erbgut steuern, zur Schmerzunempfindlichkeit führen können, ist neu und ermöglicht Einblicke in die Entwicklung des Nervensystems und die Funktionsweise der Schmerzempfindung.

Weitere Untersuchungen werden zeigen, wie weit die Erkenntnisse über PRDM12 für die Schmerzforschung und die Entwicklung neuer Schmerzmedikamente von Bedeutung sind.




Literatur:

Ya-Chun Chen, Michaela Auer-Grumbach, Jan Senderek. Transcriptional regulator PRDM12 is essential for human pain perception. Nature Genetics volume 47, pages803–808(2015) 25 May 2015.

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