Neue Krebs-Risikobewertung von Schilddrüsenknoten geht von deutlich niedrigeren Zahlen zu Schilddrüsenkrebs aus als bislang angenommen.
Unter dem Strich hat in unseren Breiten nahezu jeder zweite Erwachsene knotige Veränderungen seiner Schilddrüse. Mitunter kommt es dann zu einer Operation. Etwa wegen einer stark vergrößerten Schilddrüse oder bei Verdacht auf Krebs. Nach US-amerikanischen Leitlinien zu Schilddrüsenkrebs musste man bisher davon ausgehen, dass bis zu 15 Prozent dieser Schilddrüsenknoten bösartig sind, entarten und Krebs verursachen könnten. Wobei Jodmangel, aber auch eine immer weiter verfeinerte Ultraschalldiagnostik, dazu führten, dass bei nahezu jedem zweiten Erwachsenen Knoten in der Schilddrüse nachgewiesen werden. Dies löst dann oft Ängste aus, an Krebs des Stoffwechselorgans zu leiden oder wegen der Schilddrüsenknoten zu erkranken.
Doch eine aktuelle deutsche Langzeitstudie zum Risiko für Schilddrüsenkrebs von Schilddrüsenknoten an über 17.500 Patienten mit Knoten kommt zu dem Schluss, dass die Zahlen viel niedriger sind. Im Lauf von bis zu 23 Jahren Nachbeobachtungszeit wurde nur bei 1,1 Prozent der Patienten mit Schilddrüsenknoten Krebs diagnostiziert. Damit erweist sich die vorsorgliche Entfernung vieler Knoten als überflüssig. Die Indikation zur Operation sollte deshalb erst nach gründlicher Diagnostik gestellt werden. Da Schilddrüsenoperationen mit Komplikationen wie etwa der Schädigung des Stimmband-Nervs oder der Nebenschilddrüsen verbunden sein sowie eine lebenslange Einnahme von Medikamenten nach sich ziehen können, gelte es, unnötige Operationen zu vermeiden.
Nur bei 1,1 Prozent der Schilddrüsenknoten wurde später Krebs diagnostiziert
Diese Zahlen bestätigt auch eine retrospektive Studie. Hierzu hatten Wossenschaftler 17.592 Patienten mit Schilddrüsenknoten von über einem Zentimeter Durchmesser in den Jahren zwischen 1989 und 2013 in einem endokrinologischen Zentrum untersucht. 1.904 von ihnen wurden operiert und 6.731 länger als ein Jahr nachverfolgt. Davon 1.165 länger als 10 Jahre und bis zu 23 Jahren. Bei 155 Patienten konnten Malignome im ersten Jahr nach Erstvorstellung histologisch nachgewiesen werden. Bei weiteren 25 wurde ein Malignom in den Jahren zwei bis fünf entdeckt und bei weiteren neun in den Jahren sechs bis zehn. Danach wurden bis 23 Jahre nach Erstdiagnose der Knoten keine weiteren bösartigen Veränderungen festgestellt. Insgesamt diagnostizierte man bei 189 Patienten mit Schilddrüsenknoten Krebs. Dies entspricht einer Malignitätsrate von 1,1 Prozent.
Die Abschätzung des Risikos für Schilddrüsenkrebs beim Umgang mit den Schilddrüsenknoten muss man an die neuen Zahlen anpassen
Diese rezenten Zahlen sollten in die Risikoabschätzung von Krebs beim Umgang mit den Schilddrüsenknoten einfließen. Insbesondere auch was die OP-Entscheidung angeht. Um Überdiagnostik und Übertherapie zu vermeiden, empfiehlt die DGE, im Jodmangel-Gebiet Deutschland auf ein routinemäßiges Ultraschall-Screening der Schilddrüse bei Patienten ohne Hinweise auf eine Schilddrüsenerkrankung zu verzichten.
Wird ein Knoten mit einem Durchmesser von über einen Zentimeter nachgewiesen, sollte zunächst eine Schilddrüsen-Sonographie mit einer standardisierten Befundung nach TIRADS (Thyroid Imaging And Reporting System) erfolgen. Außerdem rät die Fachgesellschaft, im Blut den TSH-Wert zu bestimmen. Weicht er von der Norm ab, sollten im nächsten Schritt zusätzlich die Schilddrüsenhormone fT4 und fT3 gemessen werden.
Ebenso empfehlen Experten die Bestimmung des Calcitonin-Wertes. Dadurch könnten die in etwa 0,5 Prozent der Fälle auftretenden sogenannten C-Zell Karzinome frühzeitig entdeckt werden. Die weiteren Schritte richten sich nach den Befunden und können Untersuchungen wie Feinnadelbiopsien und Szintigrafien beinhalten.
Hat man sich entschieden, den Knoten zu beobachten, sollte man ihn nach sechs bis zwölf Monaten erneut per Ultraschall kontrollieren. Bei weiterhin unauffälligem Befund kann die nächste Nachkontrolle nach zwei bis drei Jahren und dann nach fünf Jahren erfolgen. Da bei initial unauffälligen Schilddrüsenknoten danach nur noch sehr wenige Krebs-Erkrankungen auftreten, muss der Stellenwert einer langjährigen Nachsorge jedoch kritisch hinterfragt werden.
Kein präventives Ultraschallscreening auf Schilddrüsenveränderungen bei älteren Menschen
Im Grunde genommen will man mit einem angemessenen Aufwand an Diagnostik die seltenen bösartigen Fälle aus der Vielzahl der harmlosen Veränderungen herausfiltern. Außerdem ist eine Jodprophylaxe wichtig. Denn der Jodmangel beispielsweise in Deutschland hat in den letzten zehn Jahren wieder deutlich zugenommen. Um Patienten unnötige Ängste zu ersparen, sollte eine Ultraschall-Untersuchung der Schilddrüse nur bei klinisch oder laborchemisch begründetem Verdacht erfolgen. Und nicht als Präventivdiagnostik. Zudem sollte man ein Ultraschallscreening auf Schilddrüsenveränderungen bei älteren Menschen nicht durchführen.
Literatur:
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Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE)