Montag, September 16, 2024

Obduktionsgutachten zur Flüchtlingstragödie auf der A4

Die Gerichtsmedizin Wien hat nun nach zwei Wochen ihr Obduktionsgutachten zur Flüchtlingstragödie auf der A4 bei Parndorf vorgelegt. Problematisch war, dass die Leichen lange großer Hitze ausgesetzt waren.

 

Das Department für Gerichtsmedizin der MedUni Wien hat alle von der Staatsanwaltschaft Eisenstadt beauftragten Untersuchungen im Zusammenhang mit den 71 Opfern, die am 27. August 2015 in einem verschlossenen LKW auf der A4 tot aufgefunden worden waren, abgeschlossen. Nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Eisenstadt (StA) hat die Gerichtsmedizin Wien die obduzierten Leichen der 71 Opfer zur Beerdigung freigegeben.

Das Obduktionsgutachten und alle Untersuchungsergebnisse wurden am 10. September 2015 der StA Eisenstadt übergeben. „Die außerordentlich schnelle Erledigung durch die Gerichtsmedizin Wien ist der extremen Ausnahmesituation dieser menschlichen Katastrophe geschuldet“, erklärt Daniele U. Risser, Leiter des Departments für Gerichtsmedizin an der MedUni Wien, „ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen an den Untersuchungen Beteiligten für ihre außerordentliche Leistung.“

Risser: „Diese Tragödie war nach dem Brand im Hotel am Augarten 1979 mit 25 Toten zweifellos die größte Herausforderung in der jüngeren Geschichte der Gerichtsmedizin Wien.“

Das Ergebnis des Obduktionsgutachtens der Gerichtsmedizin Wien ist eindeutig, obwohl durch den fortgeschrittenen hitze- und lagerungsbedingten Fäulniszustand der Leichen spezielle Untersuchungsmethoden nur mehr eingeschränkt möglich gewesen sind.

 

Klare Kompetenzen sind Basis für professionelles Ermittlungsverfahren

Daniele Risser wurde von der Staatsanwaltschaft mit Erstattung eines Obduktionsgutachtens beauftragt, Christina Stein, Sachverständige für Molekularbiologie und Leiterin des Forensischen DNA-Zentrallabors der MedUni Wien, mit der Analyse der aus den Leichen gewonnenen DNA-Proben.

Risser leitete ein multidisziplinäres, 27-köpfiges Team, bestehend aus 17 MitarbeiterInnen der Gerichtsmedizin Wien sowie Sachverständige für Forensische Toxikologie, Chemie und Zahnmedizin, SpezialistInnen für Virologie und Bakteriologie, FachärztInnen und Sachverständige für Innere Medizin, Lungenkrankheiten und Intensivmedizin sowie eine Arabistin der Universität Wien zur Übersetzung der bei den Opfern gefundenen Dokumente. Wesentliche Unterstützung kam in der ersten Woche von den Tatortgruppen vor allem der Landeskriminalämter Burgenland, Niederösterreich und Wien mit bis zu 20 KriminalbeamtInnen einerseits bereits beim Lokalaugenschein und der Bergung der Opfer aus dem LKW und andererseits auch bei der Sicherstellung von Beweismitteln und der Dokumentation von Befunden im Rahmen der Obduktionen in der Gerichtsmedizin Wien. Parallel dazu wurde aufgrund der hohen Anzahl an unbekannten Opfern auch das DVI-Team (Desaster Victim Identification) unter der Führung des Innenministeriums aktiv.

 

Leichen lange großer Hitze ausgesetzt

Schwierig gestaltete sich die Beschaffung eines Kühl-LKW zum Fundort, um eine umgehende Kühlung der Leichen und deren Transfer in die Gerichtsmedizin Wien zu gewährleisten. Nachdem sich von der Polizei angefragte Unternehmen nicht in der Lage gesehen hatten, einen solchen Kühl-LKW zur Verfügung zu stellen, mussten die Opfer im ungarischen LKW, eskortiert von der Polizei, zuerst auf ein ASFINAG-Gelände in Parndorf und von dort weiter zu der ehemaligen Grenztierarztstation in Nickelsdorf gebracht werden. Risser: „Durch diese Verzögerung ist der Fäulnisprozess der Leichen leider verstärkt worden.“

Noch im ungarischen LKW wurden die Opfer, um spätere Verwechslungen zu vermeiden, individuell gekennzeichnet, fotografisch erfasst und jeweils in einem Leichensack in die extra wieder hochgefahrenen Kühlräumlichkeiten der Grenztierarztstation gebracht. Am Vormittag des 28. August, also einen Tag nach Auffinden des LKW, wurden die Opfer mit Hilfe der Bestattung Wien zur weiteren gekühlten Aufbewahrung zum Wiener Zentralfriedhof und von dort in Gruppen von jeweils zehn Opfern zur Gerichtsmedizin in die Sensengasse überführt.

Von dort gingen jeweils nach Abschluss von zehn Obduktionen mehrere Transporte weg: einer mit den obduzierten Opfern zurück zum Zentralfriedhof, einer mit den entnommenen Proben zur toxikologischen und chemischen Untersuchung, einer mit der Wäsche und sonstigen Beigaben der Opfer zu den in Nickelsdorf arbeitenden DVI-KriminalbeamtInnen.

www.meduniwien.ac.at/pr

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