Donnerstag, April 25, 2024

Neurostimulation bei Epilepsie bietet neue Hoffnung

Neue Techniken zur Neurostimulation (Neuromodulation, Vagusnervstimulation, tiefe Hirnstimulation) geben bei Epilepsie Ärzten und Patienten neue Hoffnung.

Unter dem Strich leiden mehr als 2,6 Millionen Menschen in Europa und etwa 50 Millionen weltweit an einer Epilepsie. Trotz aller Fortschritte kann man einem nicht unerheblichen Anteil der Patienten mit Medikamenten und neurochirurgischen Eingriffen nicht helfen. Hier setzen sowohl Ärzte als auch die Epilepsie-Patienten berechtigte Hoffnung auf innovative Verfahren der Neurostimulation (Neuromodulation, tiefe Hirnstimulation, Vagusnervstimulation).

 

Minimal- und nicht-invasiven Verfahren zur Neurostimulation bei Epilepsie

Trotz der Einführung neuer medikamentöser Therapien und ungeachtet der Erfolgsquote neurochirurgischer Verfahren ist eine beträchtliche Zahl von Epilepsie-Patienten nicht anfallsfrei. Außerdem leiden viele Patienten unter beträchtlichen Nebenwirkungen.

Das ist Grund genug, neue therapeutische Ansätze für die Therapie der Epilepsie zu erforschen und zu entwickeln, wobei die Neuromodulation besonders große Interesse hervorruft. Im Grunde genommen gibt es jedenfalls Fortschritte bei verschiedenen minimal- und nicht-invasiven Verfahren der Neurostimulation, der tiefen Hirnstimulation oder den Closed-Loop-Verfahren.



 

Epilepsie: Art der Symptome und der Anfälle

Epilepsie ist eine chronischen neurologischen Erkrankung, die durch wiederkehrende, nicht provozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Die Anfälle sind eine Folge von übermäßigen elektrischen Entladungen im Gehirn.

Die Art der Symptome und der Anfälle hängt davon ab, in welchem Gehirnareal die elektrische Aktivität stattfindet und was ihre Ursache ist.

Auch Faktoren wie das Alter oder der generelle Gesundheitszustand der Betroffenen spielen eine Rolle. Etwa 25 bis 30 Prozent aller Epilepsie-Patienten haben trotz optimierter Behandlung weiterhin Anfälle.

 

Unterschiedliche Verfügbarkeit der Methoden

Neurostimulation, Neuromodulation, gewinnt nicht nur in der Epilepsie-Therapie zunehmend an Bedeutung. Das gilt auch bei anderen neurologischen Erkrankungen.

In der Behandlung der Epilepsie werden verschiedene intrakranielle und extrakranielle Techniken der Neurostimulation eingesetzt und erforscht. Beispielsweise ist die Vagusnervstimulation (VNS) mit weltweit mehr als 100.000 behandelten Epilepsie-Patienten bereits weit verbreitet. Hingegen konnte die Wissenschaft die Machbarkeit der therapeutische Trigeminusnervstimulation (TNS) erst kürzlich nachweisen.

Nichtinvasive Methoden wie die transkranielle Magnetstimulation (TMS), die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) oder die transkranielle Gleichstromstimulation (dDCS) sind in Epilepsie-Zentren noch nicht routinemäßig im Einsatz.

Die tiefe Hirnstimulation (DBS), bei der Stimulationselektroden in intrazerebrale Zielgebiete wie den vorderen Thalamuskern implantiert werden, ist seit kurzem in der EU zur Behandlung der Epilepsie zugelassen.



 

Vagusnervstimulation – sichere und wirkungsvolle Behandlung

Die Vagusnervstimulation (VNS) ist eine Option für Patienten mit medikamenten-refraktärer Epilepsie, die für einen neurochirurgischen Eingriff nicht in Frage kommen bzw. bei denen eine Operation nicht das gewünschte Resultat brachte. Die Vagusnervstimulation wird mittlerweile in Epilepsie-Zentren weltweit routinemäßig angewendet. Ein implantiertes Gerät und eine Elektrode geben elektrische Impulse an die afferenten Fasern des linken Vagusnervs ab.

Langzeitstudien zur Vagusnervstimulation zeigen eine Ansprechrate zwischen 40 und 60 Prozent und langfristige Anfallsfreiheit bei fünf bis zehn Prozent der Patienten. Die intraoperativen Komplikationen und die perioperative Morbidität sind gering.

Untersuchungen zu den Wirkmechanismen der Vagusnervstimulation zeigten eine entscheidenden Einfluss auf den Thalamus und jene kortikalen Bereiche, die für den Epilepsie-Prozess wichtig sind. Derzeit wird in der EU eine Vagusnervstimulation-basierte Methode untersucht, die auf eine iktale Tachykardie unmittelbar nach einem Epilepsie-Anfall reagiert. Sie scheint ein großes Potenzial zu haben, Anfälle zuverlässig zu erkennen und eine reaktive Stimulation auszulösen.

Eine rezente Untersuchung zeigt aber nicht nur eine zur Verringerung der Anfallshäufigkeit sowie mildere oder kürzere Anfälle bei Probanden. Sondern die Vagusnervstimulation brachte den Epilepsie-Patienten auch Verbesserungen wie Wachsamkeit und bessere Konzentration bei Patienten, die zusätzlich an kognitiven Beeinträchtigungen litten.



 

Neurostimulation bei Epilepsie durch tiefe Hirnstimulation: bis zu 60 Prozent Ansprechrate

Mehrere Epilepsie-Zentren weltweit führen derzeit Studien zur tiefe Hirnstimulation in unterschiedlichen intrazerebralen Strukturen durch. Die Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation konnte in kleinen Pilotstudien an Patienten mit medikamenten-refraktärer Epilepsie nachgewiesen werden.

Die SANTE-Studie zur bilateralen Hirnstimulation im vorderen Thalamuskern zeigte die Wirksamkeit und Sicherheit der Methode im Rahmen eines längere Follow-up von bis zu fünf Jahren, mit zunehmender Responder-Rate von 40 bis 60 Prozent. Intraoperative Komplikationen und postoperative Morbidität lagen im Rahmen der Erwartungen. Dabei zeigten sich langfristige Nebenwirkungen wie Depressionen und Gedächtnisstörungen, wobei man diesen Aspekt weiter untersuchen muss.

Die Anwendung der Neurostimulation bei Epilepsie durch tiefe Hirnstimulation bei Patienten mit Temporallappen-Epilepsie mit bilateral implantierten Elektroden führte in der Langzeitbeobachtung ebenfalls zu einer signifikanten Abnahme der Anfallshäufigkeit und der EEG-Anomalien zwischen den Anfällen, ohne dass es zu klinisch wesentlichen Nebenwirkungen gekommen wäre.

Eine US-basierte Multi-Center-Studie zur responsiven Neurostimulation bei Epilepsie (NeuroPace) zeigte nicht nur die Machbarkeit und Sicherheit des Verfahrens, sondern auch eine signifikante Abnahme der Anfallshäufigkeit in der Studiengruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe. Andere Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Die Langzeitdaten lassen hoffen, dass die responsive kortikale und tiefe Hirnstimulation einen eindeutigen Mehrwert bringt. Die Stimulation der Weißen Substanz ist derzeit Gegenstand weiterer Untersuchungen.

 

Vielversprechende Ergebnisse für minimal- oder nicht-invasive Techniken zur Neurostimulation bei Epilepsie

Neuerdings werden auch verschiedene minimal- oder nicht-invasive Neurostimulationsmethoden wie die transdermale Vagusnerv-Stimulation (tVNS), die Trigeminusnerv-Stimulation (TNS), die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) oder die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) intensiv beforscht.

Erste Ergebnisse für diese neuartigen Ansätze und Zugänge sind vielversprechend. Allerdings liegen noch keine Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien vor. Es muss auch noch untersucht werden, welche Pateintengruppen auf diese Verfahren ansprechen.




Literatur:

Pipan E, Apostolou A, Bograkou M, Brooks P, Vigren P, Gauffin H. Vagal Nerve Stimulation in Epilepsy: Experiences of Participants with Cognitive Deficits. Neuropsychiatr Dis Treat. 2020;16:1181‐1188. Published 2020 May 8. doi:10.2147/NDT.S241716

Thijs RD, Surges R, O’Brien TJ, Sander JW. Epilepsy in adults. Lancet. 2019;393(10172):689‐701. doi:10.1016/S0140-6736(18)32596-0

Schulze-Bonhage A. Brain stimulation as a neuromodulatory epilepsy therapy. Seizure. 2017;44:169‐175. doi:10.1016/j.seizure.2016.10.026

Olesen J, Gustavsson A, Svensson M, et al. The economic cost of brain disorders in Europe. Eur J Neurol. 2012;19(1):155‐162. doi:10.1111/j.1468-1331.2011.03590.x


Quelle: European Academy of Neurology

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