Freitag, März 29, 2024

Netzhautschäden bei Frühgeborenen: Spritzentherapie neu zugelassen

Netzhautschäden in Folge einer Frühgeburt sind in Deutschland die häufigste Erblindungsursache bei Kindern.

Da immer mehr extrem früh geborene Babys überleben, steigt die Zahl der Betroffenen mit einer sogenannten Frühgeborenenretinopathie (ROP) an. Für die Behandlung steht nun seit kurzem neben dem herkömmlichen Laserverfahren eine Spritzentherapie mit dem VEGF-Inhibitor Ranibizumab zur Verfügung. Welche Vorteile die Anti-VEGF-Behandlung im Vergleich zum Laser hat, erläutern Experten auf der Vorab-Pressekonferenz anlässlich des Kongresses der DOG Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG). Der Kongress findet in diesem Jahr online vom 9. bis 11. Oktober 2020 statt.

Eine zu frühe Geburt kann die Gefäßentwicklung in der Netzhaut stören und so eine Frühgeborenenretinopathie (ROP) auslösen. Bleibt die Augenerkrankung unentdeckt und unbehandelt, droht den Babys im schlimmsten Falle die Erblindung. „Das wird durch eine rechtzeitige Therapie jedoch in der Regel verhindert“, erläutert Professor Dr. med. Andreas Stahl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde an der Universitätsmedizin Greifswald. In Deutschland kommen jährlich etwa 65 000 Frühgeborene zur Welt, davon müssen bis zu 500 Kinder pro Jahr wegen ROP behandelt werden.

 

Anti-VEGF-Therapie als Alternative zur Laserkoagulation

Was die Therapie betrifft, galt das Laserverfahren seit den 1990er Jahren als Goldstandard. Dabei veröden Augenärzte die äußeren Randgebiete der Netzhaut mit einem Laserstrahl, um ein Voranschreiten der Erkrankung bis hin zur bedrohlichen Netzhautablösung zu verhindern. Nun wurde Ende 2019 auch die Anti-VEGF-Spritzentherapie mit dem Wirkstoff Ranibizumab von den europäischen Behörden zur Behandlung der ROP zugelassen. „Damit haben wir eine neue Therapieoption für alle Krankheitsstadien gewonnen, die klassischerweise mit Laser behandelt werden“, freut sich DOG-Experte Stahl.

 

Weniger extreme Kurzsichtigkeit, weiteres Gefäßwachstum

Das Medikament, das ins Auge injiziert wird, hemmt die Krankheitsaktivität mindestens so gut wie die Lasertherapie – das belegt eine weltweit an 86 Zentren durchgeführte, randomisierte Studie, die zwei verschiedene Ranibizumab-Dosierungen mit der herkömmlichen Lasertherapie verglich. Den Ergebnissen der RAINBOW-Studie zufolge hat die Injektionstherapie sogar Vorteile gegenüber der Laserkoagulation.

„Nach der VEGF-Therapie kann im Gegensatz zur Laserbehandlung die Netzhaut in den Randbereichen weiter ausreifen“, erläutert Stahl. „Und anders als nach der Lasertherapie können diese Bereiche somit später zur Sehfunktion des Kindes beitragen.“ Darüber hinaus beobachten Experten einen weiteren wichtigen Vorteil. „Die Spritzen-Behandlung verringert die Häufigkeit des Auftretens hoher Kurzsichtigkeit“, fügt Netzhaut-Spezialist Stahl hinzu. Nun müsse sich zeigen, ob die vielversprechenden Studiendaten den Realitätstest bestehen. „Dies wird in Deutschland unter anderem durch das Retina.net ROP Register ermöglicht, in dem zahlreiche Behandlungsverläufe aus der klinischen Routinebehandlung gesammelt und ausgewertet werden“, so Stahl.

 

Neue Leitlinie setzt Screening-Alter herab

Eine weitere Neuerung bringt die Überarbeitung der deutschen Screening-Leitlinien für Frühgeborenenretinopathie, die im Sommer 2020 veröffentlicht wurde: Da die aktualisierte Leitlinie das Untersuchungsalter für Frühgeborene von der vollendeten 32. Schwangerschaftswoche auf 31 Wochen herabsetzt, werden künftig weniger Kinder gescreent. „Damit vermeiden wir unnötige, für die Kinder belastende Untersuchungen“, erklärt Stahl. „Insgesamt zeigen die Neuerungen in Therapie und Screening die enorme Dynamik, die sich in der Frühgeborenenretinopathie entfaltet hat und die weiter zur Verbesserung der Versorgung der Kinder beiträgt“, betont DOG-Präsident Professor Dr. med. Hans Hoerauf.


Literatur:

·     Screeningleitlinie Frühgeborenenretinopathie:
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/024-010.html

·     Stellungnahme der ophthalmologischen Fachgesellschaften:
https://www.dog.org/wp-content/uploads/2013/03/2020_Article_StellungnahmeDerDeutschenOphth.pdf

Stahl A et al.: Comparing Alternative Ranibizumab Dosages for Safety and Efficacy in Retinopathy of Prematurity: A Randomized Clinical Trial. JAMA Pediatr. 2018 Jan 8. doi: 10.1001/jamapediatrics.2017.4838.

Stahl A et al.: Ranibizumab versus laser therapy for the treatment of very low birthweight infants with retinopathy of prematurity (RAINBOW): an open-label randomised controlled trial.
The Lancet 2019; Sep 12. pii: S0140-6736(19)31344-3.

·     European Medicines Agency (EMA):
https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/paediatric-investigation-plans/emea-000527-pip04-13-m01

·     Walz JM et al: [Treated cases of retinopathy of prematurity in Germany: 5-year data from the Retina.net ROP registry]. Der Ophthalmologe. 2018 German.

·     Walz JM et al: The German ROP Registry: data from 90 infants treated for retinopathy of Prematurity
Acta Ophthalmologica 2016; Dec; 94(8): e744-e752


Quelle:

Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG)

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