Mising Link zwischen Gehirn und Immunsystem: Neuen Erkenntnisse zum lymphatischen System könnten die Erforschung vieler Krankheiten revolutionieren.
Die Anatomie des menschlichen Körpers ist zwar gut erforscht, doch nun verzeichnen Wissenschafter die Entdeckung wichtiger Gefäße, die bis dato in keinem Lehrbuch zu finden sind. Die aufgrund dieser Gefäße vorhandene Verbindung zwischen Gehirn und Immunsystem könnte große Auswirkungen auf die Erforschung und Behandlung neurologischer Erkrankungen – beispielsweise Alzheimer und Multiple Sklerose – haben.
Seine Entdeckung, die kürzlich im wissenschaftlichen Fachjournal Nature publiziert wurde, machte Antoine Louveau im Zuge eines Versuchs, indem er die Hirnhäute bei Mäusen freizulegen versuchte, um sie im Ganzen sichtbar zu machen. Dabei beobachtete Louveau in Lymphbahnen angeordnete Immunzellen in der Gehirnhaut – überraschend, denn bis dato war nicht bekannt, dass Lymphbahnen im Gehirn überhaupt vorhanden sind.
Dass es zwischen Gehirn und Immunsystem eine Verbindung gibt, ist nichts Neues. So lassen sich Immunzellen auch im zentralen Nervensystem finden. Wie genau diese Verbindung zwischen Gehirn und Immunsystem jedoch aussieht, war bis jetzt nicht bekannt.
„Es handelt sich um eine bahnbrechende Erkenntnis, die die Korrektur bzw. Überholung wissenschaftlicher Lehrbücher verlangt,“ so Jonathan Kipnis, Leiter des Zentrums für Neuroimmunologie der University of Virginia.
Den Experten zufolge liegen die Lymphgefäße hinter den Venenkanälen in der harten Hirnhaut und sind mit Lymphknoten im Hals verbunden, und zwar mit jenen, die in der Nähe der Vene names Jugularis interna liegen. Sie sind gut versteckt – erst wenn man weiß wonach man sucht, gelingt es sie zu entdecken. So konnten die Forscher auch in den Schädeln verstorbener Menschen Bahnen dieser Art feststellen. Die Gefäße könnten möglicherweise Immunzellen aus der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit transportieren. Den Experten zufolge gebe es einen Zu- sowie einen Abfluss.
Bei der Lymphe handelt es sich um eine Flüssigkeit, die entlang ihrer Bahnen durch den ganzen Körper fließt, ungewollte Substanzen aufnimmt, und in den im Körper verbreiteten Lymphknoten gefiltert wird. Beispielsweise gelingt es dem Körper auf diesem Wege Krankheitserreger erfolgreich auszuschleusen.
Befindet sich eine Entzündung oder ein Krankheitsvorgang im Körper, schwellen Lymphknoten in der Regel an und können unter Umständen Schmerzen verursachen.
Verbindung zwischen Gehirn und Immunsystem könnte bei vielen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen
Aufgrund dieser Erkenntnisse gilt es nun neurologische Krankheitsbilder neu zu untersuchen – darunter Autismus, Multiple Sklerose und Alzheimer. Denn bei der Entstehung dieser Krankheiten spielt sowohl Immunsystem als auch Gehirn eine wichtige Rolle. Den Experten zufolge könnte diese bis dato unbekannte Verbindung zwischen Gehirn und Immunsystem erklären, warum manche Erkrankung, wie beispielsweise Alzheimer, zur Akkumulation von Plaque im Gehirn führen. Möglicherweise versagen lymphatische Gefäße in so einem Fall, diese Akkumulation zu entfernen, bevor sie das Gehirn erreichen, spekuliert Kipnis. Aber nicht nur die Ansammlung von Plaque im Gehirn könnte durch diese Entdeckung ergründet werden. Kipnis zufolge könnte die neu erworbene Erkenntnis unseren Blickwinkel hinsichtlich Neuroimmunreaktionen verändern. Die sich dahinter verbergenden Mechanismen gilt es zu erforschen.
“Wir glauben dass jede neurologische Erkrankung auch eine immunologische Komponente hat, und dabei könnten diese Gefäße eine große Rolle spielen,“ so Kipnis. „Schwer vorstellbar, dass diese Gefäße nicht in neurologischen Erkrankungen mit Immunkomponente involviert sind.“