Dienstag, April 23, 2024

Mikrobiota: Mikrobiom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Störungen der Mikrobiota können krank machen. Der Zusammenhang Mikrobiom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen ist dabei exemplarisch.

Die gastrointestinale Mikrobiota des Menschen ist weit mehr als eine „Hilfstruppe“ bei Verdauungsprozessen im Kolon. Der Begriff Mikrobiota umfasst alle Mikroorganismen, die auf unseren inneren und äußeren Oberflächen gedeihen. Im „Human Microbiom Project“, welches die Zusammensetzung und Funktion von fünf verschiedenen Habitaten (Hautoberfläche, Mundhöhle, Gastrointestinaltrakt, Urogenital-Vaginal-Trakt und Atmungsorgane) beschreibt, wurden mehr als 1.000 unterschiedliche Bakterienspezies identifiziert. Besonders anschaulich ist übrigens der Zusammenhang Mikrobiom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen.



Jeder gesunde Mensch beherbergt dabei mindestens 160 Spezies. Die Mikroorganismen des Menschen enthalten mehr als 5 bis 8 Millionen unterschiedliche Gene. Im Vergleich dazu stellt die Summe der 23.000 Gene aller Körperzellen des Menschen nur einen Bruchteil dar.

 

Sind wir mehr Mensch oder mehr Mikrobiota ?

Der mit den Erkenntnissen zur Mikrobiota verknüpfte Paradigmenwechsel weist aus, dass durch die Mikrobiota zentrale physiologische und pathophysiologische Reaktionen beeinflusst werden.

Akzeptiert wird, dass Störungen der Mikrobiota mit einer Vielzahl von Erkrankungen, einschließlich Adipositas, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus, Malignome, Lebererkrankungen, neurologisch/psychiatrische Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson und – erwartungsgemäß – auch Darmerkrankungen, wie den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), verknüpft sind (1).

Die kausalen Zusammenhänge, die Frage „was war zuerst (die Henne oder das Ei)?“ und begründete Interventionsmöglichkeiten sind jedoch weiterhin Gegenstand intensiver Forschung. Unzweifelhaft verändern Antibiotika oder Präbiotika unser Mikrobiom; die Konsequenzen sind dabei nicht immer klar erkannt. Am Beispiel der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sollen wichtige Aspekte diskutiert werden.

 

Mikrobiom und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED)

Schon mit der Erstbeschreibung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen mit dem Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa wurde die Hypothese formuliert, dass diese eine „bakterielle Ursache“ hätten. So manifestieren sich die CED in den Darmabschnitten mit der größten Dichte von Mikroorganismen; auch ähneln sie infektiösen Gastroenteritiden.



Unzweifelhaft spielt das Mikrobiom bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eine wichtige Rolle. Als zentraler Befund im Vergleich zu gesunden Personen zeigt sich, dass die Vielfältigkeit der Mikroorganismen bei CED-Patienten reduziert ist. Dabei ist sowohl in Remission, aber insbesondere im akuten Schub ein Verlust der Diversität nachzuweisen (2).

Möglicherweise ist ein verstärkter Antibiotikaeinsatz in der Kindheit die Ursache für diese Dysbiose; immerhin ist dieses als Risikofaktor für die Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen beschrieben worden (3).

Bei aller Euphorie über diese Daten ist jedoch kritisch zu betonen, dass eine interindividuelle Variation des Mikrobioms schon bei Gesunden vorkommt, was die taxonomische Definition einer CED-Dysbiose erschwert.

Aufgrund der Dysbiose lag der Gedanke nahe, über eine Mikrobiomanalytik die Krankheitsaktivität und das Ansprechen auf Medikamente abzubilden. Dieses gelingt immer besser und wird in Zukunft Einzug in die klinische Routine halten. Auch führt die beobachtete Dysbiose zum Konzept des fäkalen Mikrobiota-Transfers (FMT) bei dem eine „kranke“ Mikrobiota durch die gesunder Menschen ersetzt wird.

So zeigt eine kürzlich publizierte lesenswerte Meta-Analyse zum FMT bei CED, dass man so bei zirka 30 bis 40 Prozent der Patienten eine Remission erreichen und auf teure Medikamente verzichten kann (4).




Literatur:

(1) Stallmach A, Vehreschild M GT. Mikrobiom. Wissensstand und Perspektiven. De Gruyter, 2016.

(2) Sokol H, Leducq V, Aschard H et al. Fungal microbiota dysbiosis in IBD. Gut, 66(6), 1039−1048 (2017).

(3) Aniwan S, Tremaine WJ, Raffals LE, Kane SV, Loftus EV. Antibiotic use and new-onset inflammatory bowel disease in Olmsted County, Minnesota. A population-based case-control study. Journal of Crohn’s & Colitis, (2017).

(4) Costello SP, Soo W, Bryant RV, Jairath V, Hart AL, Andrews JM. Systematic review with meta-analysis: faecal microbiota transplantation for the induction of remission for active ulcerative colitis. Alimentary pharmacology & therapeutics, 46(3), 213−224 (2017).


Quelle: Statement » Stellenwert Gesundheitsfaktor Mikrobiom: Modulation durch Präbiotika, Probiotika oder Antibiotika « von Prof. Dr. Andreas Stallmach, Universitätsklinikum Jena, Klinik für Innere Medizin IV, Jena beim DGIM2018.

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