Samstag, April 20, 2024

Keimfreie Intensivstation

Keimfreie Intensivstation: Verlust des natürlichen Mikrobioms – ForscherInnen wollen natürliches Schutzschild durch Probiotikum aufbauen.

PatientInnen mit schweren bzw. oft lebensbedrohlichen Krankheiten werden auf der Intensivstation bestmöglich versorgt. Mikroben und durch diese verursachte Erkrankungen stellen bis heute ein Problem in der Behandlung von IntensivpatientInnen dar. Sie können aber auch aktiv zur Genesung von Schwerkranken beitragen. WissenschafterInnen der Medizinischen Universität Graz sowie der Technischen Universität Graz arbeiten im Forschungsverbund BioTechMed-Graz intensiv an der Entwicklung eines Probiotikums, welches das geschwächte Mikrobiom von IntensivpatientInnen wieder aufbauen soll und somit zu deren Genesung beiträgt.

Intensivstation: Gesunde versus gefährliche Keime

Um den Heilungsverlauf von PatientInnen auf der Intensivstation optimal zu begleiten, wird durch rigorosen Einsatz von Desinfektionsmitteln versucht, krankheitserregende Keime abzutöten. Typischerweise findet man im Umfeld von Intensivstationen Infektionen mit sogenannten Hospitalismuskeimen. Darunter versteht man Keime, welche man bevorzugt in Krankenhäusern findet und gegen welche Desinfektionsmaßnahmen oft nur mehr bedingte Wirkung zeigen. „Auch multiresistente Keime können in diesem Zusammenhang auftreten, gegen die eine Vielzahl von bekannten Antibiotika vielfach wirkungslos ist“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Gregor Gorkiewicz, Professor für Mikrobiomforschung in der Humanmedizin an der Med Uni Graz. „Kritisch kranke PatientInnen sind oftmals besonders empfänglich für Infektionskrankheiten und werden typischerweise mit Antibiotika behandelt, sobald Symptome einer Entzündung oder Infektion auftreten“, so der Mediziner.

Neue wissenschaftliche Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass sich der dadurch verursachte Verlust der natürlichen mikrobiellen Besiedelung des menschlichen Körpers negativ auf den Heilungsverlauf auswirken kann. Hier setzt die Arbeit der Forschungsgruppe an, welche von Gregor Gorkiewicz und Univ.-Prof. Dr. Gabriele Berg, Institut für Umweltbiotechnologie der TU Graz geleitet wird. Im Rahmen des interuniversitären Forschungsverbundes BioTechMed-Graz – eine Kooperation von Karl Franzens Universität Graz, TU Graz und Med Uni Graz zur interdisziplinären Gesundheitsforschung – arbeiten die WissenschafterInnen intensiv an der Entwicklung eines Probiotikums für PatientInnen auf der Intensivstation.

Vision: Probiotikum zum Aufbau des natürlichen Schutzschildes

Viele Bakterien des natürlichen Mikrobioms, wie beispielsweise Bakterien auf der Haut oder den Schleimhäuten, gehen auf der Intensivstation durch den Einsatz von Antibiotika und Desinfektionsmaßnahmen verloren. „Auch das bei IntensivpatientInnen oftmalige Fehlen einer normalen Ernährung bzw. deren Ersatz durch die Zufuhr von Nährstoffen in Infusionslösungen führt dazu, dass „gute“ Bakterien stark reduziert werden bzw. keine natürlichen Wachstumsfaktoren finden und dadurch verschwinden“, zeigt Gregor Gorkiewicz auf. Dies hat schließlich zur Folge, dass sich Hospitalismuskeime oder auch andere Krankheitserreger am und im den PatientInnen ausbreiten können. „Der Verlust einer funktionierenden Darmflora kann bei IntensivpatientInnen beispielsweise zu schweren choleraartigen Durchfällen führen“, zählt Gregor Gorkiewicz ein Beispiel auf.

Derzeit kann die Wiederherstellung der Darmflora in so einem Fall nur über eine Stuhltransplantation gelingen, einem Verfahren, bei dem der gefilterte Stuhl von gesunden SpenderInnen in den Darm von PatientInnen eingebracht wird. Die Forschungsgruppe rund um Gregor Gorkiewicz und Gabriele Berg arbeitet nun an der Entwicklung eines Probiotikums, welches den Aufbau der zerstörten Darmflora bewerkstelligen soll. „Die Hauptfrage unseres Projekts lautet, welche Mechanismen aktiviert werden müssen, um ein zerstörtes physiologisches Mikrobiom wiederaufbauen zu können“, erklärt Gregor Gorkiewicz. Deshalb planen die WissenschafterInnen jene Mikroben zu identifizieren und im Anschluss zu kultivieren, welche für die Wirksamkeit der Stuhltransplantation verantwortlich sind. Diese könnten dann in Zukunft als Probiotika in der Behandlung von IntensivpatientInnen Verwendung finden.

„Das interdisziplinäre Team, welches von der Intensivmedizin über die Mikrobiomforschung bis hin zur Biotechnologie reicht, ist ein wesentlicher Bestandteil zum Projekterfolg“, so der Tenor der Projektmitglieder.

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