Mittwoch, April 24, 2024

Die Kardiologie verlängert unser Leben

Statement Univ.-Prof. Dr. Bernhard Metzler; Universitätsklinik für Innere Medizin / Kardiologie, Medizinischen Universität Innsbruck, Sekretär der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft

In den vergangenen 30 Jahren ist die durchschnittliche Lebenserwartung in Mitteleuropa deutlich angestiegen, heute beträgt sie bei Frauen 84 und bei Männern 79 Jahre. Dafür maßgeblich mitverantwortlich sind die Fortschritte in der kardiologischen Diagnostik und Therapie. Untersuchungsergebnissen zufolge sind die Beiträge der Kardiologie zur längeren Lebenserwartung sogar höher als die jedes anderen Faches der modernen Medizin. Dieser Trend drückt sich auch in der Statistik der Todesursachen deutlich aus: Verstarben im Jahr 1997 in Österreich fast 43.000 Menschen an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, waren es 2014 mit 33.137 deutlich weniger – und das bei höheren Bevölkerungszahlen und höherer Lebenserwartung. Dazu einige sehr positive Trends:

Erreicht ein Infarkt-Patient das Krankenhaus lebend, ist die Wahrscheinlichkeit, den Infarkt zu überleben, in den vergangenen 30 Jahre signifikant angestiegen: Damals starben noch fast 20 Prozent dieser Akutpatienten, heute sind es weniger als fünf Prozent. Besonders positiv ist, dass der Mortalitäts-Rückgang bei besonders kranken und alten Patienten am größten ist.

Wer heute einen Herzinfarkt erleidet, hat nicht nur dank der Entwicklungen in der Akutkardiologie bessere Chancen, unmittelbar das Ereignis zu überleben. Er kann bei konsequenter Sekundärprävention auch auf eine weitgehend normale Lebenserwartung hoffen.

Galt es vor einigen Jahren noch als fast sicher, dass Herzinfarkt-Überlebende über kurz oder lang einen weiteren Infarkt erleiden, so kann dieses Risiko heute auf Werte gesenkt werden, wie man sie sonst bei Gesunden findet. Eine kürzlich publizierte Studie zeigte, dass Patienten, so sie die ersten sechs Jahre nach dem Herzinfarkt überleben, danach ein höheres Risiko haben, an anderen Erkrankungen zu versterben, als an einem neuerlichen Herzinfarkt.

 

Ursachen der höheren Überlebensrate

Die Gründe für die höhere Überlebensrate eines Herzinfarkts liegen einerseits in einer optimierten Akutversorgung durch Verbesserungen der strukturellen und therapeutischen Maßnahmen. Es gilt der Grundsatz „Time is muscle“: Durch die immer besser strukturierten Herzinfarkt-Netzwerke, d.h. durch das Zusammenspiel zwischen Haus- bzw. Notärzten und dem nächsten Krankenhaus mit einem Herzkatheterplatz, wurde die Zeit deutlich verkürzt, in der der Herzmuskel nach einem Herzinfarkt zu wenig oder kein Blut bekommt. Das gilt insbesondere für die „Pforte-Ballon-Zeit“ im Krankenhaus, also der Zeitraum von der Einlieferung bis zur Behandlung. Verbesserungsbedarf gibt es allerdings noch in der Zeit vor der Notaufnahme, denn nach wie vor stirbt etwa ein Drittel aller Herzinfarktpatienten vor der Einlieferung ins Krankenhaus.

 

Herzkatheter-Technik

An zentraler Stelle bei den Fortschritten der Kardiologie ist die Herzkatheter-Technik zu nennen, die nicht nur schonende Untersuchungen, sondern auch Eingriffe ermöglicht, zum Beispiel eine interventionelle Wiedereröffnung verschlossener Blutgefäße mittels Notfall-Kathetereingriff. Auch das dabei verwendete Material wird immer besser. Das betrifft vor allem Stents, die wie kleine Röhrchen in das verschlossene und mit dem Herzkatheter wiedereröffnete Herzkranzgefäß geschoben werden und einen neuerlichen Verschluss verhindern sollen. Die Weiterentwicklung dieser Stents ist ein echtes High Tech Forschungsgebiet. Neue Modelle weisen ein dünneres Profil und immer bessere Beschichtungen auf. Auch Stents, die sich nach einiger Zeit von selbst wieder auflösen, werden in Studien untersucht.

Mittels Katheter-Techniken sind nicht nur interventionelle und ablative Eingriffe (bei Vorhofflimmern) möglich, es können inzwischen auch bestimmte Herzschrittmacher implantiert werden. Seit einiger Zeit besteht, in Ergänzung der Klappenchirurgie, die Möglichkeit, mittels Gefäßkatheter die Aortenklappe zu ersetzen (Katheter-gestützter perkutaner Aortenklappenersatz, TAVI). Auch die Behandlung der undichten Mitralklappe mittels Kathetertechnik ist heute möglich. Von solchen schonenden Methoden profitieren insbesondere alte Menschen, für die eine herkömmliche Operation ein hohes Risiko bedeuten kann.

Nach einem mittels Herzkatheter versorgten Infarkt müssen die Patienten über längere Zeit Medikamente einnehmen, die die Blutgerinnung reduzieren. Auch auf diesem Gebiet haben Neuentwicklungen in den vergangenen Jahren die Ergebnisse verbessert.

 

Primärprävention

Einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Krankheiten leistet die Prävention. Primärprävention bedeutet gesunde Ernährung, kein starkes Übergewicht, ausreichende Bewegung, nicht Rauchen. Hier leistet die Kardiologie wichtige Beiträge, indem sie zum Beispiel die Zusammenhänge zwischen dem Passivrauchen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wissenschaftlich erforscht und öffentlich auf die Ergebnisse aufmerksam macht. Zum Beispiel zeigt eine aktuelle deutsche Untersuchung, dass Passivrauchen das Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu entwickeln, um rund ein Viertel erhöht.
Quantifizierbare Vorteile der Sekundärprävention

In der Sekundärprävention geht es darum, schlimmeren Schaden zu vermeiden, nachdem bereits eine Erkrankung wie ein Herzinfarkt aufgetreten ist. Auch hier gelten zunächst die Grundregeln: Rauchen aufgeben, Gewicht reduzieren und mit körperlichem Training beginnen. Darüber hinaus kann die Einnahme von Medikamenten angezeigt sein, in aller Regel lebenslang.

Alle diese Maßnahmen bringen quantifizierbare Vorteile. Nach einem Herzinfarkt senkt die tägliche Einnahme von niedrig dosiertem Aspirin die jährliche Sterblichkeit um rund 13 Prozent. Statine senken die Mortalität um 25 Prozent. In einer ähnlichen Größenordnung liegen die lebensverlängernden Wirkungen der Blutdruckmedikamente ACE-Hemmer (minus 22 Prozent) und Betablocker (minus 23 Prozent). Lebensstilmodifikation wie als Rauchen aufgeben, Gewicht abnehmen, gesunde Ernährung und körperliches Training bewirken einen Effekt in der Größenordnung von mindestens 20 Prozent.

 

Neue Herausforderungen für die Herz-Medizin

Trotz aller Fortschritte der Herz-Medizin sind Herz-Kreislauf-Krankheiten mit 42 Prozent noch immer die Todesursache Nummer eins. Zum Vergleich: 26 Prozent der Menschen in Österreich versterben an Krebs. Die Herausforderungen an die moderne Kardiologie sind also noch immer hoch.  Herzkrankheiten mit weiterhin steigenden Fallzahlen sind die Herzinsuffizienz, Herzklappenerkrankungen sowie Herzrhythmusstörungen. Dieser Trend hat zum Teil paradoxer Weise gerade mit den Fortschritten der Herzmedizin zu tun:  Immer mehr Menschen überleben einen akuten Herzinfarkt, erkranken aber später an einer Herzschwäche. Zum anderen ist der Trend Ausdruck der steigenden Lebenserwartung: das Risiko für eine Herzinsuffizienz, eine Herzklappen- oder Herzrhythmuserkrankung steigt mit dem Älterwerden überproportional stark an.

Zu wünschen ist auch, dass bestehende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten von möglichst vielen Menschen genützt werden, die davon profitieren können:  Dass zum Beispiel eine konsequentere Diagnostik von Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen, sowie eine konsequente Behandlung der neu entdeckten Diagnosen zu einer weiteren Reduktion der Mortalität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt.

PK zur Jahrestagung der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft; 31. Mai 2016, 1010 Wien

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