Donnerstag, April 18, 2024

Inkontinenz und Verstopfung: Beschwerden oft unzureichend behandelt

Inkontinenz und Verstopfung sind Erkrankungen, die trotz der beträchtlichen Beschwerden für die Patienten medizinisch oft unzureichend behandelt werden.

Unter dem Strich sind proktologische Krankheitsbilder wie Inkontinenz und Verstopfung trotz eines oftmals großen Leidensdrucks der betroffenen Patienten und großen Beschwerden medizinisch im Allgemeinen »unterbelichtet«. Erschwerend kommen hier noch Faktoren wie eine mehr oder minder starke Tabuisierung seitens der Patienten dazu. Vorhandene therapeutische Möglichkeiten rechtfertigen jedoch einen diesbezüglichen Nihilismus nicht. Stuhl-Inkontinenz kann sich als passive (»Stuhlschmieren«) oder als Drang-Inkontinenz äußern. Erstere tritt unbewusst auf und ist häufig auf einen Defekt des inneren Analsphinkters bzw. eine Stuhlimpaktion zurückzuführen – als Co-Faktoren können dabei Diarrhoe, Demenz und Depression eine Rolle spielen.

 

Differenzialdiagnose bei Inkontinenz und Verstopfung

Differenzialdiagnostisch sind eine schlechte Hygiene, ein Prolaps oder entzündliche beziehungsweise schmerzhafte anorektale Erkrankungen abzugrenzen. Der Drang-Inkontinenz liegt oft ein Defekt des äußeren Anal-Sphinkters zugrunde oder aber es besteht ein hoher Druck im Darm (Reizdarmsyndrom) – Diarrhoe beziehungsweise eingeschränkte Mobilität können bei diesem Geschehen Co-Faktoren sein. Als mögliche körperliche Befunde können bei der Inspektion Meteorismus, perianale Veränderungen (Fissur, Fistel, Entzündung, Narbe), ein klaffender Anus, aber auch ein Beckenbodendeszensus oder ein Rektalprolaps auffallen.

Palpiert können abdominelle oder rektale Tumoren, Analstrikturen, reduzierter Ruhe- oder Kneiftonus, Stuhlimpaktion, Rektozele oder ein reduzierter »anal wink« werden. Einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung von Anal­-Sphinkter-Läsionen haben vaginale Entbindungen.

Zu den konservativen Therapieansätzen zählen die Vermeidung großer Mahlzeiten, die Erhöhung der Stuhlkonsistenz durch verschiedene Präparate (Loperamid, Codein, Tinctura opii, Cholestyramin, Weizenkleie), Stuhldesimpaktion, »scheduled toileting« (Einlauf zur Darmentleerung), Analtampon und Biofeedback.

Versagen diese Maßnahmen, können verschiedene operative Verfahren wie Anal­-Sphinkter-Naht, perineale Gracilisplastik, künstlicher Sphinkter, sakrale Nervenstimulation, antegrade Kolonirrigation oder Colostomie angeboten werden.

 

Dyschezie

Als Dyschezie versteht man eine Störung der Defäkation, der Stuhlentleerung. Diese basiert auf einer Koordinationsstörung der Analschließmuskeln mit der Beckenbodenmuskulatur. Der Patient spürt Stuhldrang, kann den Stuhl aber nicht absetzen: Dyschezie äußert sich klinisch somit in einer Obstipation, tritt genauer gesat primär infolge einer anorektalen Dysfunktion von Anal-Sphinkter, Rektum sowie Beckenbodenmuskulatur auf.

Dyschezie ist von reaktiven sekundären Formen bei schmerzhaften Erkrankungen des Anorektalbereichs abzugrenzen. Definiert ist sie als Pressen oder Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung oder Notwendigkeit zur digitalen Evakuation bei ≥ 25% der Stuhlgänge über mehr als drei Monate hindurch – nach Ausschluss einer strukturellen Ursache! Zu den typischen Symptomen zählen weiters dünne Stühle, Schmerzen bei der Defäkation oder unvollständige Entleerungen von Einläufen. Bei Inspektion können Meteorismus, perianale Veränderungen, Rektumprolaps, Beckenbodendeszensus bzw. dessen eingeschränkte Mobilität auffallen.

 

Palpation und Schmerzen

Abdominelle und rektale Tumoren, Rektozele, Analstrikturen, Stuhlimpaktion sowie ein erhöhter Ruhe- und Kneiftonus sind einer Palpation, der Untersuchung des Körpers durch Betasten, zugänglich. Des Weiteren kann eine digitale Palpation (die digital-rektale Untersuchung) per se bereits Schmerzen bereiten – ebenso die Ertastung von oder der Zug am Levator ani.

Bei Beckenbodenfehlfunktion bietet sich in der Akut- wie auch Dauertherapie eine Gabe von Macrogol-haltigen isotonen Lösungen an (eventuell punktuell unterstützt durch Suppositorien bzw. Einläufe). In ausgewählten Fällen kann auch Biofeedback eingesetzt werden.


Literatur:

Forootan M, Bagheri N, Darvishi M. Chronic constipation: A review of literature. Medicine (Baltimore). 2018;97(20):e10631. doi:10.1097/MD.0000000000010631

Lukacz ES, Santiago-Lastra Y, Albo ME, Brubaker L. Urinary Incontinence in Women: A Review. JAMA. 2017;318(16):1592-1604. doi:10.1001/jama.2017.12137

Bharucha AE, Pemberton JH, Locke GR 3rd. American Gastroenterological Association technical review on constipation. Gastroenterology. 2013;144(1):218-238. doi:10.1053/j.gastro.2012.10.028


Quelle: Inkontinenz und Verstopfung. Univ.-Prof. Dr. Heinz Hammer. MEDMIX 3/2008.

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