Freitag, April 19, 2024

Fußamputation zu oft durchgeführt. Auch weil’s günstiger ist?

Viel zu oft wird in Deutschland eine Fußamputation gemacht. Diabetesexperten fordern ein Zweitmeinungsverfahren und auch bessere finanzielle Anreize für eine Fußrettung.

 

In Deutschland wird in Folge einer Diabeteserkrankung zu oft eine Fußamputation zu oft durchgeführt. Um die Zahlen zur Fußamputation zu senken, fordert die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ein obligatorisches Zweitmeinungsverfahren vor einem solchen Eingriff.

Zugleich sind andere Vergütungsstrukturen notwendig, erklärten Experten auf der Jahrespressekonferenz der DDG, bei der die Qualität der Versorgungsstrukturen für Menschen mit Diabetes im Mittelpunkt steht.

Betroffene, die vor einer Fußamputation stehen, können sich für eine Zweitmeinung an von der DDG zertifizierte Spezialzentren wenden.

Für den Erhalt der Extremitäten müsse es einen Bonus geben, da eine solche Behandlung mit längeren Liegezeiten und damit mehr Aufwand als bei einer Fußamputation verbunden ist.

 

Fußamputation im 15 Minutentakt

Als Folge einer Diabeteserkrankung wird in Deutschland jährlich etwa 50.000 mal eine Fußamputation gemacht. Sogesehen verliert alle 15 Minuten ein Mensch eine Extremität. „Diese Zahl ist, auch im internationalen Vergleich, viel zu hoch“, stellt Professor Dr. med. Ralf Lobmann fest, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG.

Die Häufigkeit ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen. „Zum einen kommen viele Patienten mit schlecht heilenden chronischen Fußwunden zu spät in spezialisierte Zentren, oft erst nach zwölf Wochen und später“, so Lobmann. In den Zentren können interdisziplinäre Expertenteams aus Diabetologen, Gefäßchirurgen, Orthopäden, Podologen und Schuhmachern eine große Bandbreite an Therapien und Maßnahmen ausschöpfen, um eine Fußamputation zu vermeiden. Zahlen belegen dies. „Während die Rate von Majoramputationen, also Abtrennungen des Fußes oberhalb des Knöchels, in spezialisierten Zentren bei 3,1 Prozent liegt, beläuft sich die Quote in der Allgemeinversorgung auf zehn bis zwanzig Prozent“, erläutert Lobmann.

 

Majoramputation beim diabetischen Fuß vermeiden

Eine Majoramputation zu vermeiden, ist jedoch oberstes Gebot bei der Behandlung des diabetischen Fuß-Syndroms. Denn das Ausmaß der Extremitäten-Entfernung hat Auswirkungen auf die Lebenserwartung – nur ein Viertel der Patienten überlebt nach einer Majoramputation fünf Jahre, bei der Abtrennung von Fußteilen unterhalb des Knöchels („Minoramputation“) sind es dagegen 80 Prozent.

„Daher fordern wir vor einer Fußamputation das obligatorische Einholen einer qualifizierten Zweitmeinung“, betont der DDG Experte. Ähnliche Regelungen gibt es etwa auch in Holland, wo Diabetespatienten mit schlecht heilenden Wunden, die länger als fünf Wochen bestehen, in spezialisierten Zentren behandelt werden müssen.

 

Führt Vergütungssystem häufiger zur Fußamputation?

Eine weitere Ursache für die hohe Amputationsrate in der Bundesrepublik liegt nach Ansicht der Fachgesellschaft im derzeitigen Vergütungssystem begründet. „Hier bestehen finanzielle Fehlanreize, die wir beseitigen möchten“, erläutert Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Präsident der DDG.

Fußamputation im Vergleich günstig. Eine Fußamputation ist vergleichsweise auskömmlich finanziert. Doch Behandlungen, die dem Erhalt der Extremität dienen, sind häufig langwierig und mit Klinikaufenthalten von bis zu 40 Tagen verbunden. „Dieser Aufwand bildet sich in der Vergütung bisher nicht ab“, kritisiert Gallwitz. „Wir schlagen daher einen Bonus für die Rettung des Fußes vor.“

Diabetischer Fuß ist eine der häufigen Folgen einer Diabeteserkrankung – jedes Jahr erkranken etwa 250 000 Patienten daran. Es ist der häufigste Grund für eine Fußamputation. „Der Umgang mit dem diabetologischen Fußsyndrom in unserem Gesundheitswesen ist symptomatisch für die Finanzierung der gesamten Diabetologie“, sagt Lobmann. „Sie betreibt im Umgang mit häufig multimorbiden Patienten einen hohen Aufwand, ist aber nur unangemessen finanziert.“

 

Versorgungsstrukturen für Menschen mit Diabetes verbessern

Die DDG setzt sich seit Jahren dafür ein, die Versorgungsstrukturen für Menschen mit Diabetes zu verbessern. Das gilt auch für die Patienten mit einem diabetologischen Fußsyndrom. Dessen erste Anzeichen sind Taubheitsgefühle, Kribbeln, Brennen und Stechen, das an den Zehen beginnt.

Betroffene, die vor einer Fußamputation stehen, können sich an Spezialzentren wenden, die von der DDG zertifiziert worden sind. Aktuell zählen dazu 201 ambulante und 78 stationäre Einrichtungen, gelistet unter http://www.ag-fuss-ddg.de.

 

Über die Deutsche Diabetes Gesellschaft:

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist mit fast 9.000 Mitgliedern eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland. Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert Behandlungseinrichtungen und entwickelt Leitlinien. Ziel ist eine wirksamere Prävention und Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem Zweck unternimmt sie auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.

http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/home.html

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