Freitag, April 19, 2024

COVID-19 und Global Health: Christian Drosten und Detlev Ganten im Interview

COVID-19 und Global Health: Doppelinterview mit dem Virologen Christian Drosten und dem Präsidenten des World Health Summit Detlev Ganten.

Im Doppelinterview sprechen Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin und Sprecher des Weltgesundheitsgipfels sowie Prof. Dr. Detlev Ganten, Präsident und Gründer des Weltgesundheitsgipfels, über die Corona-Pandemie, COVID-19 und Global Health. Christian Drosten: „Deutschland hat nichts besser gemacht als andere Länder, es hat nur früher gehandelt.“ Detlev Ganten: „Information und Wissen sowie internationale Zusammenarbeit sind entscheidend für die globale Gesundheit.“

 

Prof. Drosten, Prof. Ganten, was war für Sie die größte Überraschung in Bezug auf COVID-19?

Christian Drosten: Ich hätte überhaupt nicht erwartet, dass dieser Virus so leicht übertragbar ist. Für mich war sehr schnell klar, dass es sich um ein SARS-Virus handelt. Nämlich die Art, die gleiche Art von Virus, die ich seit 17 Jahren kenne. Aber ich hätte nie gedacht, dass sich dieses Virus so völlig anders verhalten würde. Dies ist auf ein winziges Detail im Oberflächenprotein des Virus zurückzuführen.

Detlev Ganten: Für mich war die größte Überraschung gleich zu Beginn, die plötzliche rasche Ausbreitung des Virus. Es waren keine Einzelfälle, sondern Cluster. Ich hätte auch nie gedacht, dass die Gesundheitssysteme mit den katastrophalen Folgen von Covid-19 so überfordert sind. Immerhin hatte man schon schwere Influenza-Wellen gesehen, aber die waren alle kontrollierbar.

 

Was ist im Kampf gegen COVID-19 am wichtigsten?

Detlev Ganten: Ganz klar sind das Transparenz, Kooperation, Kommunikation und Information und Wissen zum Virus! Es ist entscheidend, dass die Bevölkerung gut und klar informiert ist, damit Vorsichtsmaßnahmen verstanden und befolgt werden und keine Mythen verbreitet werden. „Wissen ist die beste Impfung.“ Eine informierte Gesellschaft kann mit solchen Dingen besser umgehen, selbst wenn falsche Berichte im Umlauf sind. Ich finde es eine große Katastrophe, dass die Wissensverbreitung in Deutschland nicht sehr modern ist. Das ist noch schlimmer als die Tatsache, dass die Gesundheitsbehörden in der Vergangenheit vernachlässigt wurden.

Christian Drosten: Auch in der Wissenschaft muss sich etwas ändern. In Deutschland beispielsweise ist die medizinische Forschung sehr auf Krebs fokussiert. Infektionskrankheiten sind in der Medizin äußerst wichtig. Wir brauchen viel mehr Forschung in diesem Bereich. Beispielsweise sind Antibiotikaresistenzen ein großes globales Problem. Wir können sehen, wie es sich rächt, wenn wir Tätigkeitsfelder vernachlässigen, die uns anscheinend nicht betreffen. Aber eben nur anscheinend.

 

Wie können wir COVID-19 in den Ländern der südlichen Hemisphäre unter Kontrolle bringen?

Christian Drosten: Aus Sicht der westlichen Industriestaaten würde man sagen, wir brauchen eine Impfung. Das ist aber nicht so einfach, wenn man an die Staaten in der südlichen Hemisphäre denkt. Die Uhr tickt. Die Verbreitung in solchen Ländern ist nicht langsam. Und wir haben keine Ahnung, wie viele Menschen dort infiziert sind.

Es scheint jedoch, dass es in afrikanischen Ländern relativ wenige Todesfälle gibt. Dafür gibt es vielleicht offensichtliche Gründe. Einerseits das Altersprofil – die Bevölkerung ist einfach jünger. Und anderseits hat sich das Immunsystem der Menschen dieser Staaten an viele Infektionen gewöhnt. Dort sind beispielsweise Wurminfektionen weit verbreitet und die beeinflussen das Immunsystem. Obwohl wir die genaue Wirkung solcher Infektionen auf COVID-19 nicht kennen, könnte dies eine Erklärung sein.

 

Deutschland hat derzeit die EU-Präsidentschaft inne. Welche Rolle können Deutschland und Europa im globalen Kampf gegen die Corona-Pandemie spielen?

Detlev Ganten: In der gegenwärtigen Situation, in der zunehmend bipolaren Welt mit den Blöcken USA und China, spielt Europa eine entscheidende Rolle. Das Wichtigste ist die internationale, multilaterale Zusammenarbeit, insbesondere mit Ländern, die in der Vergangenheit nicht immer kooperativ waren.

 

Was ist der Schlüssel zur Verbesserung der globalen Gesundheitsversorgung?

Detlev Ganten: Krankheitserreger und andere gesundheitlichen Probleme für Menschen kennen keine nationale Grenzen. Deshalb muss man internationale Strukturen stärken. Wir können nur zusammen handeln – mit Mut, guten Ideen und über alle Grenzen hinweg. Das gilt auch für die Wissenschaft.

 

Wie können wir sicherstellen, dass jeder auf der Welt Zugang zu einem Impfstoff hat?

Christian Drosten: Wir müssen vorhandene Strukturen nutzen. Es gibt internationale Organisationen und Programme, die Erfahrung in der Versorgung von Ländern der südlichen Hemisphäre mit Impfstoffen haben.

Detlev Ganten: Und man muss die WHO stärken. Europa und Deutschland tun dies vorbildlich. Wichtig ist auch der internationale, moralische Druck der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Besonders gut können das die Wissenschaftsakademien tun, die ihre jeweiligen Regierungen beraten und von der Öffentlichkeit gehört werden. Wenn einzelne Länder dann nicht mitmachen, können sie dennoch dem öffentlichen Druck letztendlich nicht widerstehen.

 

Glauben Sie, dass der Wissenschaft in Zukunft mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird?

Christian Drosten: Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft ist derzeit hoch. Aber das kann sich schnell ändern. Im Moment weiß niemand genau, wie die Epidemie weitergehen wird. Es besteht die Möglichkeit, dass das Ganze trotz wissenschaftlicher Erklärungen nicht so einfach zu kontrollieren ist. Und dass die Wissenschaft einfach zu langsam war, zum Beispiel mit der Verfügbarkeit von Impfstoffen. Wir werden erst am Ende wissen, wie welche Auswirkungen es auch die Wissenschaft gibt. Da die Corona-Pandemie kein wissenschaftliches Phänomen ist, handelt es sich um eine Naturkatastrophe.

Detlev Ganten: Die Wissenschaft wird gefragt, ob sie glaubwürdig ist. Es muss daher eine ganzheitliche Sicht auf das gesamte Ereignis und auch eine interdisziplinäre Sicht geben. Mit anderen Worten, nicht nur die virologischen Aspekte, sondern auch die wirtschaftliche, soziale und politische Aspekte einer Pandemie. Niemand kann genau vorhersagen, was passieren wird. Die Wissenschaft muss jedenfalls kritisch und selbstkritisch mit Problemen umgehen und auch kommunizieren. Christian Drosten macht das vorbildlich.

 

Was ist die wichtigste Lektion, die wir für die Zukunft lernen können?

Christian Drosten: Die Pandemie wird erst jetzt wirklich beginnen. Auch hier in Deutschland. Wir können nur von Lehren aus der ersten Welle in Europa sprechen. Allein dort sehen wir große Unterschiede. Was wir aber schon sagen können, ist, dass es relativ wichtig ist, die Bevölkerung gut und umfassend zu informieren. Es kann großen Schaden anrichten, wenn Politiker die Dynamik einer Pandemie für politische Botschaften nutzen. Das ist sehr schwierig – der Virus serviert sofort die Rechnung. Sie können sehen, was das in den USA ausmacht. Auch in Deutschland sehen wir die Konsequenzen.

Detlev Ganten: Die Botschaft für mich ist sehr klar: Gesundheit ist das Wichtigste für den Einzelnen und die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft. Wirtschaft und Kultur und alles, was einfach funktioniert hat, ist nicht mehr garantiert. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das wirklich allen bewusst ist.

Christian Drosten: Ich glaube nicht.

 

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten – was wäre das?

Christian Drosten: Wir müssen einige Dinge ändern, um die Situation in den kommenden Monaten zu kontrollieren. Wir brauchen pragmatische Entscheidungen. Es werden bereits Reden gehalten, in denen der deutsche Erfolg gelobt wird. Aber es ist nicht ganz klar, woher der kommt.

Dieser Erfolg war einfach darauf zurückzuführen, dass wir etwa vier Wochen früher als in anderen Ländern reagiert haben. Wir haben genauso reagiert wie andere. Wir haben nichts besonders gut gemacht. Wir haben es gerade früher gemacht. Deshalb waren wir erfolgreich. Wir waren nicht erfolgreich, weil unsere Gesundheitsbehörden besser waren als die Franzosen oder weil unsere Krankenhäuser besser ausgestattet sind als die italienischen. Wenn Sie dies auf den Herbst übertragen, müssen Sie natürlich erkennen, dass wir weiterhin nichts besseres tun als andere.

 

Was bedeutet das?

Christian Drosten: In Argentinien zum Beispiel ist die Ausbreitung trotz Maßnahmen sehr schwer zu kontrollieren – dort ist Winter. In Deutschland sollten wir viel differenzierter und präziser ins Ausland schauen. Wir müssen aufhören, über Dinge wie Fußballstadien zu reden. Das ist wirklich völlig irreführend.

Detlev Ganten: Natürlich hätte ich gerne eine wirksame Therapie und einen effektiven Impfstoff. Ich halte es aber auch für sehr wichtig, dass endlich klar wird, wie wichtig internationale und multilaterale Zusammenarbeit ist. Und ich wiederhole: Wissen, Wissen, Wissen. Eine gebildete Gesellschaft versteht die notwendigen Maßnahmen, verhält sich rational und läuft Rattenfängern nicht in die Arme.

 

Wann können wir sagen, dass wir es geschafft haben? Wann können wir und wieder die Hand geben?

Christian Drosten: Was bedeutet »wir haben es getan«? Wahrscheinlich bedeutet es, dass man die Ausbreitung nach einem epidemischen Muster brechen konnte. Das heißt, wenn nicht mehr eine freie Infektionswelle über die Bevölkerung läuft, sondern nur lokalisierte Ausbrüche, die man kontrollieren kann. Diese Situation wird in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten erreicht. In Ländern der globalen Hemisphäre könnte dies früher der Fall sein, da die Altersstruktur unterschiedlich ist. In unserem Fall kommt es natürlich darauf an, wann es genügend Impfstoffe für die Risikogruppen gibt.

 

Sollten bestimmte Risikogruppen also priorisiert werden?

Christian Drosten: Ja, dann brauchen wir in Deutschland keine 50 Millionen Impfstoffdosen. Abgesehen von der erwarteten Konkurrenz um den Vertrieb ist es nicht so einfach, so viele Impfstoffdosen aufzubereiten und diese dann zu verabreichen. Auch wenn der Impfstoff da ist. Selbst wenn im Januar ein oder zwei zugelassene Impfstoffe verfügbar sind, muss alles abgefüllt und die Menschen müssen geimpft werden.

Detlev Ganten: Ein Impfstoff und eine wirksame Therapie wären in der Tat ein großer Schritt nach vorne. Eines darf jedoch nicht vergessen werden: Die anderen Krankheiten sind immer noch vorhanden, die vielen vermeidbaren Todesfälle, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Infektionskrankheiten, die nicht kontrolliert werden können, wenn Antibiotika nicht mehr wirksam sind. Ich hoffe, dass wir aus dieser Covid-19-Pandemie gelernt haben, dass wir in Zukunft besser auf solche Herausforderungen vorbereitet sein müssen. Prävention kann Geld kosten – aber nicht vorbereitet zu sein kann dramatische Folgen haben.


Quelle: World Health Summit

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