Donnerstag, März 28, 2024

Corona-Pandemie: Coronavirus SARS-CoV-2 und Covid-19 können gefürchtetes Guillain-Barré-Syndrom auslösen

Etwa 3/4 der Guillain-Barré-Syndrom-Fälle treten in Folge von Infektionen auf, auch das Coronavirus SARS-CoV-2 mit Covid-19 gilt als Auslöser.

In den Monaten der Corona-Pandemie beschrieben Forscher in mehreren Studien verschiedene neurologische Folgen einer SARS-COV-2-Infektion. Wobei neurologische Komplikationen jedenfalls häufiger bei Patienten mit schweren Infektionen der Atemwege auftreten. Bereits Anfang April des Jahres 2020 hatten Forscher in „Lancet Neurology“ erstmals über den Zusammenhang des Coronavirus SARS-CoV-2, von Covid-19 und dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) diskutiert. Kurz darauf folgten weitere Corona-Publikationen aus Europa, die ein Guillain-Barré-Syndrom beziehungsweise eine Guillain-Barré-Syndrom-Variante bei COVID-19-Patienten beschreiben. Hierzu überprüfte eine rezente Metaanalyse 11 Studien, in denen 11 Fälle von Guillain-Barre-Syndrom nach Sars-Cov-2-Infektion vorkamen. Das Durchschnittsalter der Corona-Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom betrug 61,54 Jahre, die Standardabweichung 14,18 Jahre. Die Mehrheit der Patienten hatte übrigens Fieber und Husten als erstes Symptom einer SARS-COV-2-Infektion.

Das Guillain-Barré-Syndrom entsteht häufig in Folge von Infektionen, beispielsweise nach bakterieller Darminfektion oder Infektion mit dem Zytomegalievirus. Nun reiht sich auch das Coronavirus SARS-CoV-2 in die Reihe der Erreger, die das Guillain-Barré-Syndrom auslösen kann. Eine Besonderheit: Während es häufig 2 bis 4 Wochen dauert, bis ein Infekt-assoziiertes Guillain-Barré-Syndrom auftritt, kam es bei den SARS-CoV-2-Infektion bereits nach 5 bis 10 Tagen zu dieser schweren neurologischen Komplikation.

 

Guillain-Barré-Syndrom

Unter dem Strich ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ein schweres neurologisches Krankheitsbild. Durch eine überschießende Autoimmunreaktion, häufig in Folge von Infekten, wird die Myelinschicht der peripheren Nerven geschädigt, so dass die Nervenfasern keine Reize mehr übertragen können.

Nachweisbar sind beim Guillain-Barré-Syndrom jedenfalls oft Autoantikörper gegen Baubestandteile der Nervenmembranen (Ganglioside) im Blut. Dementsprechend gehören Lähmungen (Paresen) zu den Folgen. Wobei diese meistens beidseitig in den Beinen beginnen. Dann schließlich auch die Arme und das Gesicht betreffen. Allerdings kann bei einigen Patienten sogar die Atemmuskulatur darunter leiden. Dann muss man diese Patienten schließlich auch beatmen.

Die Betroffenen erhalten zur Therapie entweder hochdosiert intravenös Immunglobuline oder es erfolgt eine Plasmapherese, ein extrakorporales Blutreinigungsverfahren, bei dem die krankheitsauslösenden Autoantikörper herausgefiltert werden. Oft dauert es viele Wochen, bis sich die Symptome zurückbilden, bei einigen Patienten bleiben dauerhaft neurologische Beschwerden bestehen.

Bekannt ist, dass etwa Dreiviertel aller GBS-Fälle in Folge von Infektionen auftreten, sei es durch eine bakterielle Darmentzündung mit Campylobacter jejuni oder einer Infektion der oberen Luftwege mit dem Zytomegalievirus oder anderen Viren. Schließlich haben im Frühjahr Corona-Forscher erstmals über das Coronavirus SARS-CoV-2-assoziierte Guillain-Barré-Syndrom-Fälle bei Covid-19-Patienten berichtet.

 

Fallbericht: 61-jährige Covid-19-Patientin mit Coronavirus SARS-CoV-2-assoziierten Guillain-Barré-Syndrom aus China

Der erste Fallbericht eines vermutlich Coronavirus SARS-CoV-2-assoziierten Guillain-Barré-Syndroms betrifft eine 61-jährige Frau aus China. Die Patientin hat man mit Paresen der unteren Extremitäten in die Klinik aufgenommen. Sie hatte jedoch keine Atemwegssymptome, Fieber oder Diarrhoe.

In den folgenden drei Tagen breiteten sich die Paresen aus. Die Therapie erfolgte mit i.v.-Immunglobulinen. An Tag 8 entwickelte die Patientin Husten, Fieber und wies im Thorax-CT Zeichen einer viralen Pneumonie auf. Der SARS-CoV-19-Rachenabstrich war positiv.

Die Autoren diskutieren ein SARS-CoV-2-assoziiertes Guillain-Barré-Syndrom, da die klassischen respiratorischen Covid-19-Symptome aber erst eine Woche nach Beginn des Guillain-Barré-Syndroms hinzukamen, müsse auch die Möglichkeit eines zufälligen koinzidenten Auftretens beider Erkrankungen in Betracht gezogen werden.

 

Fallserie aus Italien

Doch zwei Wochen später wurde bereits eine Fallserie mit Guillain-Barré-Syndrom bei fünf italienischen Coronavirus SARS-CoV-2-Patienten veröffentlicht. Unter dem Strich erkrankten fünf von 1.000 bis 1.200 Covid-19-Patienten innerhalb von 5 bis 10 Tagen nach Beginn der Symptom von COVID-19 an einem Guillain-Barré-Syndrom, drei dieser Corona-Patienten mussten maschinell beatmet werden. In der Studie konnten die Forscher allerdings nicht abgrenzen, ob das Guillain-Barré-Syndrom oder die respiratorische Infektion die Beatmung notwendig machte.

 

Zwei Fallbeispiele aus Spanien

Eine weitere Arbeit aus Madrid stellte zwei Kasuistiken von Covid-19-Patienten mit der GBS-Variante des Miller Fisher-Syndromes (MFS) vor. Im Serum waren dabei MFS-auslösende Gangliosid-Antikörper nachweisbar. Zudem hatten beide Patienten SARS-CoV-2-positive Rachenabstriche.

Typischerweise treten das klassische Guillain-Barré-Syndrom oder das MFS 10 Tage bis zu vier Wochen nach der zugrundeliegenden Infektion auf, also in der Regel, nachdem die Patienten von der Infektionskrankheit genesen sind. Bei SARS-CoV-2-Infektionen hingegen ist das Intervall deutlich kürzer. Alle bisher berichteten Patienten entwickelten bereits 5 bis 10 Tage nach den ersten Symptomen der Covid-19-Erkrankung ein Guillain-Barré-Syndrom.

 

Schlussfolgerungen

Bei beatmeten Patienten auf der Intensivstation stellt das Guillain-Barré-Syndrom jedenfalls eine wichtige Differentialdiagnose dar. Und zwar zur Critical Illness-Neuropathie, einer peripheren Nervenschädigung, die in der Regel erst später im Krankheitsverlauf bei Patienten auf der Intensivstation auftritt. Die Unterscheidung ist aber relevant, um nicht die Behandlung mit Immunglobulinen zu versäumen.

Wichtig ist jedenfalls, dass man bei Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom, oder Miller Fisher-Syndrom, abklärt, ob eine Coronavirus SARS-CoV-2-Infektion oder eine Covid-19-Erkrankung vorliegt. Umgekehrt sollte man bei Corona-Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen, die beatmet werden müssen, abklären, ob nicht ein Guillain-Barré-Syndrom beziehungsweise Miller Fisher-Syndrom statt dem Coronavirus die eigentliche Ursache der Beatmungspflichtigkeit sein könnte.

Das gilt schließlich insbesondere, wenn der bildgebende Befund der Lungen nicht auf Organschädigungen deutet, die eine maschinelle Beatmung notwendig machen.

Schließlich gibt es heute auch einige Berichte über die neurologische Komplikation Guillian-Barre-Syndrom bei COVID-19 aus Indien.


Literatur:

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Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)

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