Donnerstag, April 18, 2024

Menschen mit Autismus leiden oft an Alexithymie, Gefühlsblindheit

Menschen mit Autismus leiden oft an Alexithymie, was zu Mangel an emotionalem Einfühlungsvermögen und einer Neigung zu zweckorientiertem Handeln führt.

Der Zusammenhang zwischen der Empathiefähigkeit von Menschen mit Autismus und ihren moralischen Urteilen ist bislang wenig erforscht. Ein internationales Forschungsteam konnte unlängst zeigen, dass es sich bei der scheinbar gefühllosen Haltung von Menschen mit Autismus gar nicht um eine Eigenschaft der Entwicklungsstörung per se ist. Sondern es handelt sich dabei um einen wenig erforschten Aspekt ihrer Persönlichkeit namens Alexithymie. Wobei diese Gefühlsblindheit durch Schwierigkeiten in der Verarbeitung von Emotionen gekennzeichnet ist.



 

Stigmatisierung von Menschen mit Autismus

Im Grunde genommen stellt man Autisten häufig mit mangelnder Empathie sowie mit wenig oder gar keinem Interesse an den Gefühlen anderer Menschen dar. Dementsprechend entwickelte sich eine Stigmatisierung dieser Gruppe. Viele Menschen nehmen Autisten deswegen häufig als gefühlskalt, distanziert und mit nur wenig bis überhaupt keinem Sinn für Moral wahr.

In einer rezenten Studie verwendeten die ForscherInnen ethisch-moralische Dilemmata. Das waren Gedankenexperimente, in denen es erforderlich ist, eine Person zu opfern, um dadurch das Leben mehrerer Personen zu retten. Im Anschluss wurden die TeilnehmerInnen, autistische sowie nicht-autistische Erwachsene, aufgefordert, ein moralisches Urteil abzugeben.

Die Resultate zeigen, dass sich beide Gruppen nicht in ihren moralischen Urteilen unterscheiden und gleichermaßen Handlungen missbilligten, welche von ihnen verlangten, für den größeren Nutzen ein einzelnes Leben aktiv zu opfern. Interessant war, dass Autisten gleichartige Urteile abgaben. Vor allem auch, warum sie dies taten.

 

Die Alexithymie ist eine vernachlässigte Facette bei Menschen mit Autismus

Durch Verwendung komplexer statistischer Techniken zur Modellierung konnten die Forschenden zwei unterschiedliche Facetten autistischer Persönlichkeit aufzeigen, die entgegengesetzte Tendenzen aufweisen und sich daher gegenseitig aufheben.

Eine ist Autismus an sich, welcher mit erhöhtem selbstbezogenen Distress assoziiert ist und Autisten dazu veranlasst, sich aus Stress beladenen sozialen Situationen zurückzuziehen. Daraus resultiert die Verweigerung, ein für andere Personen schädigendes Verhalten an den Tag zu legen, selbst wenn dies zu einem besseren Ergebnis für die Allgemeinheit führen würde.



 

Die andere, vernachlässigte Facette autistischer Persönlichkeit ist Alexithymie.

Alexithymie wird auch als Gefühlsblindheit bezeichnet. Sie ist einerseits mit verringerter Empathie verbunden. Andererseits äußerte sie sich in der Versuchsanordnung dadurch, ein für andere Personen schädigendes Verhalten zugunsten eines nutzen-maximierenden Ergebnisses an den Tag zu legen.

Es scheint fast, als ob diese zwei Subdimensionen der autistischen Persönlichkeit auf einer Wippe säßen. Und aufeinander entgegen wirkende Kräfte ausübten. Das endgültige moralische Urteil von Autisten hängt von der Balance dieser zwei ‚Gegenspieler‘ ab.

 

Effekte von Alexithymie berücksichtigen

Die Studie unterstreicht außerdem die Notwendigkeit, die Effekte von Alexithymie bei der Erforschung des moralischen Urteilsvermögens bei anderen klinischen Störungen, die ebenso mit erhöhten Alexithymie-Werten einhergehen, zu berücksichtigen. Dazu gehören zum Beispiel Multiple Sklerose oder die Parkinson-Krankheit.

Wenn man das außer Acht lässt, dann könnte man derartige Krankheitsbilder moralische oder emotionale Beeinträchtigungen zuschreiben, die in Wirklichkeit von einer gleichzeitig auftretenden Alexithymie herrühren.




Literatur:

Patil I, Melsbach J, Hennig-Fast K, Silani G. Divergent roles of autistic and alexithymic traits in utilitarian moral judgments in adults with autism. Sci Rep. 2016;6:23637. Published 2016 Mar 29. doi:10.1038/srep23637

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